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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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war in dieser Welt alles möglich.
    »Kannst du einen Moment lang alleine stehen?«, erkundigte sich der Schwarze, als wir vor der Tür standen.
    Ich nickte schwach.
    Byron ließ mich los, und ich fiel der Länge nach in den Dreck. Mein Begleiter wirbelte herum, warf die Eingangstüren zu und verbarrikadierte die Türflügel mit dem Stunder. »Das dürfte sie ein paar Minuten aufhalten«, befand er, nachdem er probeweise daran gerüttelt hatte.
    Heftiges Gepolter ließ die Türflügel erzittern. Es zeugte davon, dass die ersten Verfolger den Ausgang erreicht hatten und von den Nachkommenden gegen die Pforte gepresst wurden. Schreie erklangen auf der anderen Seite der Tür, gingen in ein grauenhaftes Röcheln und weitaus unappetitlichere Geräusche über, dann sickerte Blut durch die Türritzen. Die, welche den Ausgang zuerst erreicht hatten, wurden von der nachdrängenden Masse in ihrem Blutrausch regelrecht zerquetscht.
    »Machen wir, dass wir hier wegkommen«, rief Byron und riss mich in die Höhe. »Sollte die Meute ausbrechen, kann ich nicht garantieren, dass wir nach dem, was sie mit uns anstellen, immer noch heilen werden.«
     
    Das Areal, auf dem wir standen (eigentlich stand nur Byron, während ich kraftlos in seinem Griff hing) erinnerte an Venedigs Piazza San Marco, wobei die uns umgebenden Gebäude das Original an überwältigender Pracht und kunstvoller Geschlossenheit bei weitem übertrafen. Auf mächtigen Rundpfeilern ruhten Kuppelbögen, die teils schmalbrüstigen, teils palastgroßen Häuser wurden verziert von hölzernen Galerien, Balkonen und kunstvollem Schnitzwerk. Wehrhafte Tore versperrten den Zutritt ins Innere, das nur erahnen ließ, was es verbarg.
    Während Byron den Himmel nach Paraboliden absuchte, studierte ich unsere Umgebung. Wir waren umringt von schweigenden Menschen. Ihre Aufmerksamkeit galt jedoch einzig der bebenden Tür, die uns vom rasenden Mob trennte. Von Kopf bis Fuß in dunkle Lumpen gehüllt, blieb nur der Bereich ihrer Augen von den verkrusteten Leintüchern unbedeckt. Diese Augen funkelten, erfüllt von beängstigendem Hass auf die blutgierige Rotte in der Taverne. In den Händen trugen die Vermummten Macheten, Hellebarden, Lanzen und zugespitzte Stangen. Enger und enger zogen sie den Kreis vor den breiten Stufen. Hunderte waren es, die heranschritten und das gesamte Arsenal an todbringenden Klingen und Spitzen auf den Tavernenausgang richteten. Byron und mich beachteten sie kaum, und falls doch, dann nur, um uns auszuweichen. Der Boden des Platzes war knöcheltief mit geronnenem oder bereits getrocknetem Blut bedeckt. Da und dort wateten wir durch dickflüssige rote Pfützen, in denen Fleischklumpen trieben. Blutiger Staub erfüllte die Luft, stach in den Atemwegen und machte das Luftholen mit der verletzten Lunge zu einer zusätzlichen Qual. Der Gestank raubte mir fast den Atem. Wäre mein Magen nicht leerer als ein Fahrstuhlschacht gewesen, so hätte ich mich pausenlos übergeben.
    Ich schloss die Augen und versuchte, den Schmerz zu kontrollieren, während mich Byron durch die schweigsame Menge schleppte. Er blieb für einen Moment stehen, um sich zu orientieren. »Schaffst du es?«, erkundigte er sich.
    »Ob ich will oder nicht«, krächzte ich. »Wer sind diese Leute?«
    »Rebellen, Dissidenten und Meuterer. Sie hindern die Demagogen daran, die Taverne zu verlassen. Sollten sich die Tyrannen befreien, wird sich hier das abscheulichste Gemetzel abspielen, das du dir vorstellen kannst. Bis dahin möchte ich diesen Platz verlassen haben.«
    Langsam begannen sich die dichtgedrängten Reihen der Bewaffneten zu lichten. Hinter uns ertönte ein Knall, als der Stunder, der die Pforte blockiert hatte, unter dem Druck der gegen die Flügel drängende Menge barst, und von einem Augenblick zum anderen entstand vor der Taverne ein unfassbares Schlachtgetümmel. Ich sah nur einmal kurz zurück, um zu erkennen, woher all das Blut auf dem Boden rührte. Sie spalteten sich gegenseitig von den Schultern bis zu den Hüften. Schädel zerplatzten unter der Wucht von Rebaschen, Körper hingen an Speeren und Spießen wie zappelnde Schaschlikstücke. Menschen mit klaffenden Leibern rangen und rissen einander mit bloßen Händen die Eingeweide aus den Körpern. Die schrecklichen Schreie der einander aufschlitzenden, aufspießenden und zerfleischenden Gruppen hallten mir noch in den Ohren nach, als wir das Schlachtfeld längst verlassen hatten und durch schmale Gassen hetzten. Dann standen

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