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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Auf diesen Staub aus Nano-Robotern. Und auf diese Stadt.«
    Elijah leckte sich wieder über die Lippen und tauschte einen Blick mit Byron. »Glaubt Ihr denn, Ihr seid schon bereit für die Wahrheit?«
    »Mehr als je zuvor.«
    »Der Talmud sagt: Ein Mensch bleibt weise, solange er die Weisheit sucht; sobald er sie gefunden zu haben wähnt, wird er ein Narr.«
    »Zum Teufel mit dem Talmud«, brauste ich auf. »Ich bin zu Fuß durch die Hölle gegangen, Rabbiner! Ich bin gestorben und trotzdem immer wieder aufgewacht. Und ich habe Dinge gesehen, die niemals existieren dürften. Ich habe in Gottes Namen ein Recht auf die Wahrheit!«
    Byron massierte mit Daumen und Zeigefinger seine Nasenwurzel, dann schlug er sich dreimal mit der Faust gegen die Stirn, als wolle er auf diese Weise einen unerwünschten Gedanken vertreiben. Auf meinen fragenden Blick reagierte er mit abweisendem Schweigen.
    »Habt Ihr ein Problem mit Gott, Bruder Maske?«, interessierte sich Elijah.
    »Wen fragt du das, alter Mann?« Der Schwarze starrte demonstrativ gegen die Laborwand. »Jeder in dieser Stadt hat ein Problem mit ihm …«
    Der Rabbiner hob mitleidig die Augenbrauen und murmelte etwas auf Hebräisch. Dann fuhr er an mich gewandt fort: »Ich fürchte, was Ihr sucht, existiert nicht. Gäbe es nur eine Wahrheit, wären die Sterne niemals erloschen. Ich kann Euch nur Aspekte Eurer Wahrheit anbieten. Fragmente. Bruchstücke.« Und mit einem Seitenblick zu Byron: »Denn Gott wohnt hier nicht.«
    Langsam aber sicher ging mir der Kerl auf die Nerven. Gastfreundschaft hin, Respekt her, ich verspürte mittlerweile große Lust, sein Wissen einfach aus ihm herauszuprügeln.
    »Nun gut«, gab Elijah seinen Widerstand auf, als sich unsere Blicke trafen und er die Entschlossenheit in meinen Augen sah. Er ging schweigend zu seinem Mikroskop, blies die beiden Kerzen aus, verstaute das Gerät vorsichtig in einem Rucksack und schulterte ihn. Dann rief er: »Folgt mir, Ihr Herren Narren. Aber sagt nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt!«
     
    Gefolgt von einer Obszönitäten in mein Ohr murmelnden Demuarsell, ließen wir uns von dem Rabbiner zwei Stockwerke tiefer bis zu einer Tür führen, die so schmal war, dass der Spinnendämon mit seinem fetten Lasterleib kaum hindurchpassen würde. Ich fragte mich, womit sich Demuarsell eigentlich beschäftigte, solange sie mit Elijah allein war. Kroch sie – in lästerliche Selbstgespräche versunken – über die Flure, turmauf, turmab? Oder wohnten außer dem Rabbiner noch andere Büßer in den Tiefen des Turms, denen sie auf die Nerven gehen konnte?
    Hinter der Tür führte eine schmale Steintreppe in die Tiefe, aus deren Schwärze ein kalter Luftzug emporwehte. Wasser spritzte unter meinen Füßen auf, als ich dem Rabbiner folgte, tropfte vereinzelt von der in der Dunkelheit verborgenen Decke oder rann gurgelnd in bodenlose Spalten.
    »Was befindet sich dort unten?«, wollte ich wissen. »Ein See?«
    »Wahrheit«, antwortete Elijah, ohne seinen Schritt zu verlangsamen. »Wo meint Ihr wohl, führe ich Euch hin?«
    »Vielleicht in die Arme einer Horde Chroner.«
    »Nicht so viel Argwohn«, mahnte der Rabbiner im Dunkeln.
    Ich breitete die Arme aus, um nicht gegen die Wände oder Deckenvorsprünge zu stoßen, während Byron eine Hand auf meiner Schulter liegen hatte und sich einfach führen ließ. Plötzlich leuchtete ein blaues Licht auf, das mich für Sekunden blendete. Schützend hielt ich mir eine Hand vors Gesicht, bis Elijah die entfachte Laterne so weit abgeschirmt hatte, dass ihr Strahlen erträglich war. Als meine Augen sich an die Lichtquelle gewöhnt hatten, offenbarte sich mir eine hohe, sehr enge Felsspalte, die vor dem Rabbiner in eine ungewisse Finsternis führte. Der Boden der Höhle, die wir nach Durchschreiten der Spalte erreichten, war lehmig und von unzähligen Schritten glatt getreten.
    »Seht Ihr«, lächelte Elijah, »keine Chronerarmee.«
    Nachdem wir der unterirdischen Kluft etwa fünfzig Meter weit gefolgt waren, erreichten wir ein massives Portal aus rötlich-patiniertem Metall, das an dieser Stelle reichlich deplatziert wirkte. Der Rabbiner fischte einen Schlüsselbund aus seinem Mantel und entfernte das massive Vorhängeschloss von den Türflügeln. Auf der anderen Seite der Pforte wandelte die Höhle sich zu einem breiten Korridor, dessen Boden von massiven Steinplatten bedeckt war. Er endete vor einer weiteren mächtigen Tür. Dahinter lag ein großes, rundes Gewölbe, das offenbar als

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