Morphogenesis
Fensterbrüstung verschwand, hatte der Parabolid über dem Turm auch schon das Feuer eröffnet. Der erste Schuss traf versehentlich den Chroner am Fenster, worauf dieser durchs gesamte Zimmer geschleudert wurde und qualmend auf dem Korridor liegen blieb. Lediglich sein Kopf, seine Arme und seine Beine waren noch intakt, der übrige Rumpf war unter der Hitze des Treffers verschmort. Das hieß: fast verschmort. Hinter glühenden Metallrippen dampften die Überreste verbrannter Maschinenorgane …
Vor dem Fenster hörte man eine Strahlengarbe, die offenbar Manoms fallendem Körper folgte. Die Erschütterungen der Treffer, die sich in die Turmwand fraßen, ließen die Mauern erzittern. Ich vernahm den Aufprall eines schweren Körpers im Wasser, dann herrschte Stille. Der Parabolid schwebte ein Stück weit über den Fluss, beißender Rauch und der Gestank von verbranntem Gestein drang durchs Fenster in den Raum.
Die beiden übrig gebliebenen Chroner betrachteten unentschlossen die Überreste ihres Artgenossen, wobei sie darüber debattierten, ob sie sich nun an ihre Instruktionen halten oder mich als Vergeltung für den zerstörten Aufseher mundtot machen sollten. Nachdem einer der beiden das Zimmer verlassen hatte, ergriff der andere einen Stuhl, platzierte ihn in der Zimmermitte und stieß mich darauf. Der zweite kam wenig später mit einem käfigähnlichen Behälter zurück, worin eine handschellenartige Vorrichtung befestigt war. Ich begann zu schwitzen, denn ich ahnte, was nun folgen würde.
»So, Bübchen«, brummte der Wortführer, »kommen wir also zur Sache.«
Er gab dem Zyklopen ein Zeichen und postierte sich abwartend neben mir. Die Kreatur krabbelte heran, und irgendwoher aus ihrem Leib erklang eine monoton schnarrende, mechanische Stimme: »Büßer, du wirst des wiederholten gesellschaftlichen Umgangs mit einem dysmorphen Individuum – in Klammern: Abîme-Mutation, Klassifikation ”II – beschuldigt.«
Zum ersten Mal wurde ich Zeuge, dass diese Kreaturen in der Lage waren zu sprechen.
»Na wenn’s weiter nichts ist«, murmelte ich, beinahe schon erleichtert darüber, dass der Zyklop kein Wort über die jüngst aktivierte Waffe verloren hatte.
Der Chroner an meiner Seite holte mit seiner Rebasche aus und drosch sie mir mit der flachen Seite auf die Oberschenkel. Ich schrie auf und krümmte mich zusammen, doch der Aufseher riss mir den Kopf nach hinten und drückte mich gegen die Stuhllehne.
»Du Saftsack gestehst also!« Er stieß einen Ton aus, der eher zu einem Geysir passte als zu einem Menschen.
»Dieses dysmorphe Individuum war ein Kind«, erklärte ich betont langsam.
Sekundenlang herrschte Schweigen, untermalt von einem leisen Surren, das von dem Zyklopen ausging. Es klang wie eine laufende Kamera. Wohin dieses Standgericht übertragen wurde, wusste ich nicht. In die Prozessarchive Sararas vielleicht, oder in die Paraboliden, oder an alle übrigen Zyklopen zur Unterhaltung der Chroner.
Der Aufseher reckte sich empor. »Vollstreckung!«, kommandierte er. »In Liebe«, fügte er mit bedeutungsvollem Blick auf mich hinzu. Er packte meinen Kopf und riss ihn nach vorne, sodass mein blanker Nacken freilag. Der zweite Chroner hatte den Käfig abgestellt und postierte sich mit schlagbereiter Rebasche neben mir. Alles ging so rasch, dass mir der Atem stockte. Meine Beine zitterten, mein gesamter Körper zitterte, doch am schlimmsten bebte meine Stimme, als ich schrie: »Ihr könnt mich nicht richten! Ich bin ein Iretmeth!«
»Aber das wissen wir doch längst, Schlangenficker«, erklang es von der Tür her. »Deshalb sind wir ja hier.« Es war ein tiefes, grollendes Organ von erschreckender Vertrautheit, die jeden Muskel in mir zum Erstarren brachte: die Stimme Kreuzbeißers.
»Lass ihn los!«, befahl er dem Chroner, der mich festhielt. Und hinsichtlich der schwelenden Überreste auf dem Korridor: »Räumt lieber den Dreck weg!«
Das gnadenlose Zerren an meinen Haaren verschwand, und ich richtete mich langsam wieder auf.
»Kuckuck«, grinste Kreuzbeißer. »Haben wir dich etwa erschreckt?« Er kam feixend heran und ging vor mir in die Hocke. »Erkennst du das?« Er schwenkte einen gammeligen Lederbeutel vor meinem Gesicht, in dem sich etwas Kleines, aber sehr Schweres befand. Ich brauchte nur einen kurzen Blick darauf zu werfen, um zu wissen, dass es Archons Rucksack war. »Ah, ich sehe, du bist im Bilde«, nickte der Chroner.
»Wo ist Byron?«
»Ach, so nennt er sich also gerade … Nun, ich
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