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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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er.
    »Bitte?« Ich sah ihn verständnislos an.
    »Grabplatten!«, rief er nun etwas lauter. »Der gesamte Torus ist mit Grabplatten bedeckt. Das …« Die Erregung beraubte ihn fast seiner Stimme. »Das ist ein Ringsarkophag!«
    Ich ließ meine Finger über das Gestein gleiten. Seine Oberfläche wurde tatsächlich von einer fingerdicken, unter dem Staub kaum zu erkennenden Fuge geteilt. Der Spalt war nur sichtbar geworden, weil ich ihn mit der Hand freigewischt haben musste, als mich Károly darauf abgesetzt hatte. Hastig entfernten wir den Staub, hin und wieder gehemmt durch Reste des glücklosen Rahmed. Am Ende zählten wir zehn Platten, die das Rund überdeckten und in ihrer Form dem Torus angepasst waren. Mit größter Kraftanstrengung schafften wir es, eine der Platten so weit zu verschieben, dass wir unsere Hände in den Spalt stecken und sie aus ihrer Lagerung heben konnten. Die Platte war sehr dick, aber für ihre Masse viel zu leicht. Vorsichtig hievten wir sie um ihre Achse und ließen sie so zu Boden sinken, dass sie am Rund lehnte, dann leuchteten wir in den freigelegten Innenraum.
    Es war wohl einst tatsächlich ein Sarkophag gewesen, für einen Menschen oder ein Tier oder weiß Gott was. Nun jedoch beherbergte er ebenfalls nichts weiter als Staub. Die wiederhergestellte Atmosphäre hatte alle organischen Überreste, die sich hier unten befunden hatten, zerfallen lassen. Deprimiert starrten wir in den Behälter, als könnten wir mit unseren Blicken den Zerfall seines Inhaltes widerrufen. Aber alles Wünschen nützte nichts, Staub blieb Staub.
    »Tja«, meinte Károly resigniert. »Die Zeit geht dahin, und der Mensch gewahrt es nicht. Außer dem Staub und den Reliefs wird hier wohl nichts mehr zu holen sein.«
    Nachdem wir auch die restlichen Schreine abgedeckt hatten, erwies sich der Torus als ein einziger Behälter, dessen Boden gleichmäßig mit Staub bedeckt war. Lediglich an einer Stelle häufte er sich doppelt so hoch wie innerhalb der restlichen Einfassung.
    »Wie ein Ringsarkophag sieht es nun nicht mehr aus«, meinte Károly. »Eher wie eine Kameltränke.«
    »War wohl ein Behälter für Grabbeigaben«, überlegte ich. »Für Lebensmittel, damit der Verstorbene auf dem Weg ins Totenreich nicht zu hungern brauchte. Oder für mumifizierte Tierkadaver; Katzen oder Falken.«
    »Ich glaube, wir sind völlig auf dem Holzweg«, warf Károly ein. »Womöglich gab es hier nie etwas, das bestattet wurde. Vielleicht war das gesamte Bauwerk nur eine Art Silo.«
    »Ein Silo?«, echote ich.
    »Ein Getreidesilo, randvoll bis zur Decke. Und der Staub ist nicht mehr als die Überreste der Ernten. Vielleicht befand sich hier früher auch eine Oase, und der Schacht war ein riesiger Brunnen, oder eine Zisterne; ein nahezu unerschöpfliches unterirdisches Wasserreservoir. Am Fuß der Pyramide könnte sich eine Siedlung befunden haben, ein Vorposten gegen Invasoren aus dem Westen und Süden.«
    Ich wiegte skeptisch den Kopf. »Wir sind fast vierhundert Kilometer von den Dakhla-Oasen entfernt …«
    »Unter der Wüste liegt ein gigantisches Grundwasserreservoir. Die Menschen von damals mussten nur tief genug graben.« Er breitete bestätigend die Arme aus und drehte sich im Kreis. »Vielleicht stammt dieses Bauwerk von einem Volk, das den Pyramidenbau erst an den Nil gebracht hat …«
    »Ein bisschen zu oft vielleicht«, stellte ich fest. »Wieso sollte man in diesen Breitengraden etwas so Wertvolles wie eine Zisterne versiegeln?«
    »Womöglich geschah dies erst, nachdem das Wasser schlecht wurde oder das Reservoir nach Jahrhunderten oder Jahrtausenden zu versiegen begann – zur Sicherheit vor Vergiftung oder vor einem tödlichen Sturz …«
    »Und der Staub?«
    »Rührt vom Brackwasser her; Reste von Schlamm und Algen. Das würde auch die Ablagerungen auf den Reliefs und im Inneren des Orbis erklären.«
    »Die Theorie hinkt«, meinte ich und ließ meine Hand durch den Staub wandern, hin zu der etwas höher aufgehäuften Stelle. »Hierin lag etwas, das sagt mir mein Instinkt…« Plötzlich hielt ich etwas Metallisches in den Fingern. Es war rund und nur unwesentlich kleiner als ein Armreif. Der Gegenstand erwärmte sich in meiner Hand, als ich ihn aus dem Staub zog und verblüfft anstarrte.
    »Vielleicht war es ja ein Sarkophag für eine große Schlange«, scherzte Károly, der sich den Reliefs zugewandt hatte. »Wir werden es wohl erst wissen, wenn wir dieses Kauderwelsch an den Wänden entziffert haben –

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