Morphogenesis
falls dies überhaupt gelingt.«
Er begann wieder an seiner Kamera herumzunesteln, ich hingegen stand wie erstarrt. Unglücklicherweise galt Károlys gegenwärtige Aufmerksamkeit dem Bemühen, die gegenüberliegende Wand zu erreichen, ohne auf Rahmeds Überreste zu treten. Ich musste meine gesamte Kraft und Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht erneut zu stürzen. Schwer atmend und zitternd hing ich über dem geöffneten Sarkophag und ließ das goldene Kleinod wie in Trance durch meine Finger gleiten. Es schien zu pulsieren, erfüllt mit wiedererwachtem Leben. Mein Blick wanderte über den abgedeckten Torus. Ich bildete mir ein, einen monströsen, grün schillernden Leib darin liegen zu sehen. Ein dünnes Kleid violetter Schuppen bildete an seinen Flanken bizarre Muster, und aus seinem Schwanzende ragte drohend ein ellenlanger, schwarzer Dorn. Ein Schlangenkopf, so groß wie der eines Nilkrokodils, hob sich aus dem Staub, getragen von einem mächtigen, zu einem Schild gespreizten Hals, der sich in meine Richtung bog. Er schwebte lautlos heran, bis das Schlangenmaul nur noch eine Handspanne von meinem Gesicht entfernt war und ich der Kreatur direkt in die Augen blickte. Ich fühlte den Atem des Reptils auf meiner schweißnassen Haut, wagte nicht mehr zu atmen. Der Goldreif in meiner Hand pulsierte so heiß wie ein glühendes Stück Kohle. Aus dem Maul der Schlange schoss eine gespaltene Zunge, so lang wie mein Arm, und strich fast liebkosend über mein Gesicht. Dann vernahm ich ein Wort – kaum mehr als ein zischend ausgestoßener Laut: »Kematef!«
Ich starrte in die pechschwarzen, hypnotisch blickenden Augen des Reptils und brachte keinen einzigen Ton heraus. In meiner Brust tobte ein höllischer Schmerz, und eine weit entfernte Stimme schrie: »Atme! Verdammt, atme!«
»Men keb hatar«, zischte die Schlange. »Sha’al bajach shawi, Kematef!«
Ich registrierte die Hand auf meiner Schulter erst, als sie mich heftig schüttelte. Die Vision des riesigen Reptils zerstob zu einem Nebel aus Licht und grünem Staub, der zu Boden rieselte und in Myriaden winziger Funken erlosch. Benommen starrte ich Károly an. Ich sah ihn zwar sprechen, hörte jedoch kaum seine Stimme, sondern nur einen langgezogenen Brummton.
»Hast du sie gesehen?«, stieß ich Wort für Wort durch meine zusammengebissenen Zähne aus.
Ich spürte, wie Károly mir den Goldreif aus der Hand nahm. Besser gesagt: Er zog ihn mit Gewalt aus meinen Fingern, die sich um das Kleinod gekrampft hatten, als jage es Starkstrom durch meinen Arm. Das Erste, was ich wieder einigermaßen deutlich verstand, als sich mein Körper entspannte, waren Károlys rumänische Flüche.
»Geht’s wieder?« Mein Partner hievte mich auf die Kante des Torus, wo ich erschöpft niedersank. »Verdammt, Hype, was war das denn eben? Du hattest Pupillen, so groß wie Taubeneier.«
»Hast du sie gesehen?«, wiederholte ich meine Frage.
»Du hattest die Augen ja weit genug aufgerissen …«
»Die Schlange!«, half ich ihm auf die Sprünge. »Hast du die Schlange gesehen?« Károly starrte den Goldreif in seiner Hand an. »Vergiss es«, sagte ich und griff nach dem Kleinod, doch er zog die Hand rechtzeitig zurück.
»Ein Uroboros«, stellte Károly fest. »Feine Goldarbeit. Etwas zu leicht für seine Größe …« Er wischte das Schmuckstück an seinem Hemd sauber und hielt es ins Licht. »Wo hast du ihn gefunden?« Er ließ den Strahl seiner Lampe suchend über den Torus wandern.
»Nein, nicht!«, rief ich und riss ihn zurück, ehe er mit der Hand in den Staub fassen konnte.
»Verdammt, Hype, was ist denn los?!«
»Dieses Zeug wirkt irgendwie toxisch«, bemühte ich mich um eine rationale Erklärung. »Vielleicht liegt es am Schweiß auf der Haut. Womöglich gelangt es durch die Poren in den Blutkreislauf. Es … es geht aufs Nervensystem, lähmt die Atmung, verursacht Halluzinationen.«
»Und produziert anscheinend mehr Stresshormone, als gut für dich sind«, fügte Károly hinzu. Der Blick, mit dem er mich dabei bedachte, sprach Bände. »Würde ich dich nicht kennen, würde ich behaupten, du leidest seit der Sache mit Rahmed an irrationalen Angstzuständen. Hast du irgendwelche Drogen geschluckt?«
»Nein.«
»Auch nichts, um dich aufzuputschen? Noch bis heute Morgen warst du den Toten näher als den Lebenden …«
Statt zu antworten, nahm ich ihm den Uroboros ab und wog ihn eine Weile argwöhnisch in der Hand. Nichts war mehr zu spüren, keine unnatürliche Wärme,
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