Morphogenesis
ich darin einen auf den ersten Blick unscheinbaren Gegenstand. Verdutzt betrachtete ich das Objekt. Es war eine kleine, schwarze Steinpyramide, deren Bodenseite von eingravierten Hieroglyphen bedeckt war. Kein Zweifel, es handelte sich um ein Bruchteil des Hexonnox. Offensichtlich setzte der Würfel sich aus sechs einzelnen Pyramiden zusammen. Blieb die Frage: Wie sollte ich an die verlorenen fünf Bruchstücke gelangen?
»Eine Noxe!«, entfuhr es Max, als er das Fragment in meiner Hand erkannte. »Nun wird mir einiges klar.«
Ich zog mir die nassen Sachen über; eine Art locker sitzender, grauer Overall, in dem ich aussah wie ein begossener Klempner. »Einzeln ist sie wahrscheinlich nutzlos«, erklärte ich.
»Sagt so etwas nicht«, widersprach Max. »Zeigt her das Stück!«
Ich hielt ihm den Splitter vors Gesicht. »Hm, schwierig, fürwahr«, befand er, nachdem er die Hieroglyphen studiert hatte. »Ich glaube, es ist eine Noxe für die Türen …«
Manom zupfte nervös an meinem Arm. »Kayetwe apa«, zischelte er und deutete zum gegenüberliegenden Ufer.
Ich kniff die Augen zusammen und suchte die Häuserfronten ab, die das freie Areal umsäumten. Aus dem Schatten einer Quergasse trat eine hochgewachsene, in ein dunkles Tuch gehüllte Gestalt. Sie stahl sich ein paar Schritte weit an einer Hauswand entlang, zog sich schließlich die Kapuze vom Kopf und sah direkt zu uns herüber. Es war Byron! Der Schwarze winkte kurz, dann trat er wieder zurück in den Schatten.
»Wo kommt der denn her?«, wunderte ich mich.
»Buchat mej«, erklärte Manom.
Ich staunte. Der Junge war ein hervorragender Schwimmer. Byron musste zu Fuß schier Unmögliches geleistet haben, um ihm an Land folgen zu können. Ganz zu schweigen von den Sektorengrenzen, die er dabei hatte überqueren müssen. Aber vielleicht war seine Präsenz vor Ort ja gar kein Wunder an Ausdauer, List und Glück …
»Sind Chroner bei ihm?«, fragte ich Manom.
Der Junge schüttelte den Kopf. Ich spähte um die Ecke, zu den Patrouillenbooten und dem sich unaufhaltsam nähernden Paraboliden. Womöglich hatte Byron die Strecke ja gar nicht zu Fuß zurückgelegt …
Hinter uns wurden rasch näher kommende Schritte laut. Aus dem Labyrinth fand etwas den Ausgang zum Ufer, das ich im ersten Augenblick, als ich es sah, für einen schlechten Scherz hielt. Dort taumelte – blind wie sie war – eine korpulente, kopflose Gestalt in Pumphosen um die Ecke. Ihr fetter, nackter Wanst und ihre Arme waren über und über von Schnitten übersät, die ihr zahllose Blattklingen auf ihrem Weg durch das Labyrinth zugefügt hatten. Auf ihren Schultern trug sie wie die beiden Kreaturen, die die Chroner am Ufer entlangtrieben, eine mächtige Guillotine.
Blutüberströmt und mit klauenartig ausgestreckten Händen stampfte sie auf uns zu, wobei ihre Aufmerksamkeit in erster Linie Maximilien zu gelten schien, der mit einem Aufschrei Reißaus nahm, dicht gefolgt von seinem Kompagnon Antoine.
»Verzeiht!«, rief Max im Davonrollen. »Es war anregend, Euch kennen zu lernen.« Dann schlüpften die beiden unter den Hecken hindurch zurück ins Labyrinth.
Das Guillotinen-Wesen stürmte auf seiner Jagd nach den Köpfen achtlos an Manom und mir vorbei, wobei es vom eigenen Schwung getragen fast die Balance verlor und in den Fluss stürzte. Bevor die Lichtkegel der Patrouillenboote dem Radau folgen konnten und Manom und mich erfassten, hatte der Junge mich mit beiden Händen gepackt. Ohne recht zu wissen, wie mir geschah, befand ich mich plötzlich im freien Fall, dann schlug auch schon das Wasser über uns zusammen. Manom tauchte mit mir tief unter die Oberfläche, bis ich die Hände der Unglücklichen fühlte, die das Tentakelgeflecht am Grund des Flusses gefangen hielt. Ich spürte ihre fahrigen Berührungen im Vorübergleiten. Zwar hatte ich vor dem Eintauchen instinktiv Luft geholt, doch diese war schnell aufgebraucht. So gab ich mich wieder der Qual des Ertrinkens hin, ohne zu sterben.
Kaum hatte ich den letzten Atem verbraucht, begann die Flussoberfläche zu schillern. Sämtliche Scheinwerfer der Boote konzentrierten sich auf die Eintauchstelle. Zugleich begann das Wasser unangenehm zu vibrieren, was darauf schließen ließ, dass der Parabolid sich genau über uns befand.
Manom kümmerte sich nicht um meine verzweifelten Bemühungen, freizukommen, sondern zog mich erbarmungslos mit sich. Der Strömung nach zu urteilen bewegten wir uns auf das gegenüberliegende Ufer zu. Irgendwann
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