Morphogenesis
schwieg lange, dann sagte ich: »Ich will ihn sehen!«
Meret wirkte für einen Moment verunsichert. »Wen sehen?« Ihre Augen verrieten mir jedoch, dass sie sehr wohl begriffen hatte, wen ich meinte.
»Ich will dem in die Augen blicken, der dieses Inferno geschaffen hat. Ich will ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, in seinem heiligen Tempel! Und du, meine Teuerste, wirst mich zu ihm bringen!«
»Das kann ich nicht!«
»Dann zeig mir den Weg.«
»Er wird es niemals zulassen, dass du ihn erreichst.« In Merets Stimme mischte sich eine Spur von Besorgnis. »Warum ziehst du das Grauen dem Segen vor?«
Ich richtete meinen Blick fest entschlossen hinab in den Abgrund. »Wo finde ich ihn?«
Meret wandte sich ab und schlenderte eine Weile an der Klippe entlang, dann schien sie zu resignieren. Ich hatte erwartet, sie würde auf einen fernen Punkt der Nekropole deuten oder sich dem Nebel am Horizont des Limbus zukehren, um mir die Richtung zu weisen, doch zu meiner Überraschung deutete sie hinauf in den grauen Pseudohimmel, auf einen Punkt irgendwo weit über der Stadt.
»Dort oben? Ist das dein Ernst?«
Meret schwieg.
Fantastisch, Krispin. Jetzt bräuchtest du diesen Archon mit seiner fliegenden Schrottmühle.
Ich kniff die Augen zusammen und beobachtete die hoch über den Dächern schwärmenden Insekten. Offenbar handelte es sich dabei um die gleichen Monster, die ich bereits auf meiner Taxifahrt durch das antike Babylon gesehen hatte. »Was ist mit den Fliegen?«, fragte ich Meret. »Können sie einen Menschen tragen?«
»Die Nasu unterstehen Hath. Ich bezweifle, dass sie auf mich hören werden.«
»Kannst du einen Paraboliden rufen?«
»Warum kletterst du nicht gleich ins Maul eines Drachen?«
Ich sah in die Ferne, auf den Schwarm fetter schwarzer Leiber, der über der Stadt kreiste. Die Sache behagte mir ganz und gar nicht, aber es war immerhin eine Möglichkeit.
»Ruf die Nasu.«
»Alle?« Meret lächelte säuerlich.
»Eines dieser Monstren genügt.«
»Überleg es dir gut«, warnte sie. »Was die Chroner innerhalb der Stadt sind, sind die Nasu über ihr.«
»Ruf sie!«
Merets Blick flackerte. »Du bist ein Narr, Hippolyt Krispin!«, bescheinigte sie mir leise. Dann wandte sie sich um und starrte konzentriert in die Ferne. Wenn sie einen Ruf äußerte, so war er für meine Ohren nicht wahrnehmbar.
Ultraschall, Krispin. So machen es auch die Fledermäuse. Oder Telepathie …
Wie sie es auch anstellte, es zeigte Wirkung. Drei der fliegenartigen Kreaturen waren es, die sich aus dem Schwarm lösten, gedrungene, schwarze Ungetüme. Sie näherten sich mit enormer Geschwindigkeit, und ich bemerkte schnell, dass ich mich in Babylon verschätzt hatte, was ihre Größe betraf: Sie waren weitaus größer als Kühe. Der Umfang ihrer fetten Leiber musste an den von Elefanten heranreichen. Das ohrenbetäubende Brummen ihrer Flügel ließ den Boden vibrieren, als sie schließlich wie Helikopter über uns kreisten. Was mich nun mit weitaus größerem Grauen erfüllte, waren ihre Köpfe – Menschenköpfe mit riesigen hervorquellenden Augen, um das fünffache aufgebläht und in die grotesken Umrisse von Fliegenköpfen gezwungen. Ihre Stimmen, falls sie überhaupt als solche zu bezeichnen waren, formten eine Mischung aus menschlicher Sprache, Schnarren und missklingendem Zirpen.
»Was willst du, Meret?«, rief eine der Kreaturen. Ihr Organ schnitt schmerzhaft schrill durch das ohrenbetäubende Brummen ihrer Flügel. »Uns füttern?«
»Nein, Sfraahn.« Der Sturm, den die drei Flügelpaare über uns erzeugten, drückte mich fast zu Boden. »Ich wünsche, dass ihr meinen Begleiter ins Zentrum bringt!«
»Du wünschst?« Die drei Fliegenmonster lachten; Geräusche, die klangen wie drei simultan gestartete Racing-Trucks. »Du hast zu bitten, Meret!«
Die Hybride ballte die Fäuste, derweil ich es vorzog, in Anbetracht der dornenbewehrten Klauenfüße den Mund zu halten.
»Dann – bitte ich dich darum, Sfraahn«, rief sie, »ihn trockenen Fußes im Zentrum abzusetzen.«
»Trockenen Fußes? Seit wann behalten die Verdammten in den Sümpfen trockene Füße?« Wieder erscholl das blecherne, dröhnende Lachen der Nasu. »Und seit wann bestimmst du über das Schicksal der Verdammten, Agarepth?«
»Er ist ein Iretmeth!«, gab Meret zurück.
»So?« Das Ungetüm neigte den Kopf. »Und welcher der beiden soll das sein – jener, der dort liegt, oder jener, der neben dir schlottert?«
»Dieser.« Meret
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