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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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entströmen und wurde intensiver, je tiefer ich sank. Meret erschauerte unter meinen Berührungen. Ihre jahrtausendealten Augen, die Königreiche und Völker untergehen sahen, waren geschlossen. Ich suchte ihren Duft mit der Spitze meiner Zunge; in ihrem Nacken, in ihrem Mund, unter ihren Achseln, auf ihren Brüsten und zwischen ihren Schenkeln …
     
    Danach lagen wir im Gras. Stunden mochten vergangen sein, Tage oder Wochen. Ich wusste es nicht. Ich ließ die wiedergewonnene Erinnerung an meine letzte Nacht in Kairo vor meinem geistigen Auge ablaufen; an das Aphonnon und Merets Botenschlange, die mich ins Casino gelockt hatte, an den Roulette-Gewinn und mein Versprechen, an ihre Liebkosungen und ihre Andeutungen über die Duat, und an den Uroboros, den sie in meiner Brust hatte verschwinden lassen. Ein zweites Mal durchlebte ich die furchtbare Veränderung der Welt um mich herum und den Albtraum, in dem Meret mich zurückgelassen hatte – und erinnerte mich an das Fahrzeug, das mich erfasst hatte, nachdem ich, geblendet durch den Einfluss des Aphoes, über die Straße getorkelt war …
    Ich blickte in den Himmel. Er leuchtete blau, vereinzelte Wolken zogen schwerfällig über uns hinweg. Die Landschaft um uns herum blühte und duftete, und über dem Stadtkessel kreisten Schwärme von Vögeln.
    »So war es früher«, flüsterte Meret neben mir. »Bevor es begann.«
    In die paradiesische Idylle mischte sich ein schmerzhafter Missklang. Es war, als blende sich ein Film über den anderen. Aus den Vögeln wurden Schwärme riesiger, blutgieriger Fliegen, ihr Zwitschern verzerrte sich zum Summen ihrer tausendzähligen Flügel. Die Wolken, die über den Himmel zogen, quollen auf und verschmolzen zu einem formlosen, grauen Brodem. Jeglicher Duft, der uns umgab, wich einem stechenden, süßlichen Gestank, den ich noch nie zuvor so bewusst gerochen hatte wie in diesem Augenblick, als er den alten Duft ersetzte. Das Gras roch nach Fäulnis, die Erde ebenso, und in der Luft hielt sich der penetrante Geruch von Verbranntem. Ich stemmte mich hoch und sah mich um. Drei Meter von uns entfernt lag der zusammengekrümmte Leib Byrons.
    Verstört sah ich zu Meret, die meinen Blick erwiderte. Ein wissendes Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie räkelte und streckte sich auf dem Gras und verschränkte schließlich ihre Arme hinter dem Kopf.
    »Ich bin überzeugt, du hast inzwischen einiges über die wahre Natur Sararas herausgefunden.«
    »Natur?!« Ich spuckte das Wort förmlich aus. »In dieser abnormen Welt gibt es nichts Natürliches!«
    »Was du in Sarara siehst, sind fünftausend Jahre Menschheitsgeschichte.«
    »Aber woher kommen die Informationen? Woher das Wissen um die Epochen nach der Katastrophe, wenn die Welten voneinander getrennt sind?«
    »Hast du es denn noch immer nicht begriffen?« Merets Stimme klang spröde. »Hat dein zeitloser Freund Giza es dir nicht verraten? Es ist das Lebendige, das das Tote nährt.«
    »Lebendig ist hier nichts. Allenfalls ›in Betrieb‹ und ›aktiv‹.«
    »Kannst du dir nicht vorstellen, dass wir eure Art der Existenz womöglich ebenso unnatürlich finden?«
    »Das dort unten ist kein Leben!«
    »Wer von uns beiden hat wohl Recht?«, lächelte Meret. »Ich, die ich seit Tausenden von Jahren existiere, oder du, der du kaum einen Wimpernschlag davon durchlitten hast?«
    »Mein wirkliches Leben wartet jenseits dieses Infernos«, sagte ich. »Und ich werde es wiedererlangen!«
    »Das kannst du nicht.«
    »Und warum nicht?«
    Meret lachte mit Sahias glockenheller Stimme. »Weil Thot es dir geraubt hat. Ohne dein Hexonnox bist du ebenso an diesen Ort gebunden wie ich. Für dich gibt es keine Existenz mehr außerhalb Sararas. Das ist der Preis für deine Aufsässigkeit. Akzeptiere nun die Schlange, und das Grauen wird weichen. Viele dort unten wünschen, sie trügen in sich, was du in dir birgst, und wären frei.«
    »Frei in der Hölle?« Ich lachte bitter und tastete meine Brust ab.
    »Die Verdammten in der Stadt sind es nicht. Sie fanden die Duat, an die sie ihr Leben lang geglaubt und vor der sie sich gefürchtet hatten. Sie wollen es nicht anders …«
    Ich richtete mich auf und packte Meret an der Schulter. »Und womit habe ich dieses Schicksal verdient?«
    Sie zuckte unter meinem plötzlichen Zugriff zusammen. »Es war dir vorherbestimmt.« Ihr Lächeln erstarb, Schmerz verfinsterte ihr Gesicht. »Du tust mir weh!«
    »Ach, tatsächlich? Warum wehrst du dich dann nicht?« Ich studierte

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