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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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erzitterte der Boden; zweimal, dreimal, während das Licht unruhig zu flackern begann. Dann ließen die Erschütterungen und das Getöse wieder nach. Sekunden später erstrahlte auch die Deckenbeleuchtung wieder gleichmäßig, und in dem Korridor, durch den sie schritten, war es so still wie zuvor.
    »Was war das?«, fragte Ka die Frau, die unbeeindruckt neben ihm herschlurfte.
    »Was meinen Sie?«
    »Dieses Beben…«
    »Oh, das passiert ständig.« Sie winkte ab, als ginge es um die zur allgemeinen Gewohnheit gewordenen Marotten einer lästigen Mitbewohnerin. »Ich höre schon gar nicht mehr hin. Mal rumst es da, mal rumst es dort … Im Laufe der Zeit gewöhnt man sich daran.«
    »Warten Sie«, bat Ka. Er ging zu einem der bullaugenartigen Fenster, die sich in den Korridorwänden öffneten, und versuchte es freizuwischen, doch der Schmutz hatte sich von außen an der Scheibe festgesetzt. Es sah aus, als wäre er durch dreckiges, mit Rostpartikeln versetztes Wasser entstanden, das jahrelang gegen das Glas geschwappt und Schicht über Schicht getrocknet war. Nahezu unmöglich zu bestimmen, was sich jenseits des Fensters befand. Die verschwommenen Formen außerhalb des Gebäudes ähnelte kahlen, gedrungenen Bäumen oder einem rostigen Baugerüst, überlegte Ka. Er hatte sein Gesicht gegen die Scheibe gepresst und schirmte es mit den Händen gegen das Korridorlicht ab. Das Orange-braun auf der Außenseite des Fensters schien jedenfalls nicht allein vom Schmutz herzurühren.
    »Waren Sie schon mal draußen?«, fragte er. Niemand antwortete ihm. Er blickte über seine Schulter und erkannte, dass die Frau einfach weitergelaufen war.
    »Ich brauche einen neuen Beutel«, murmelte sie wie zur Entschuldigung, als er wieder zu ihr aufgeschlossen hatte. »Es wird zwar kaum noch etwas nützen, aber Vorschrift ist nun mal Vorschrift.«
    Ka wiederholte seine Frage, worauf sie ihre Unterlippe vorschob und den Kopf schüttelte. »Nein. Nein.« Dann sah sie ihn an und schmunzelte, als hätte sie einen zweideutigen Witz durchschaut. »Das war eine Fangfrage, nicht wahr?«
    »Bitte?«
    »Na, das mit dem Draußen …« Sie blinzelte ihm zu. »Wir sind doch schon längst draußen, junger Mann.« Dann setzte sie eine verschwörerische Miene auf und senkte hinter vorgehaltener Hand ihre Stimme zu einem heiseren Flüstern: »Und wissen Sie was? Ich glaube, die Schwestern haben es noch gar nicht gemerkt…« Sie kicherte schelmisch und begann ein Lied über das Zigeunerleben zu singen.
    Ka nickte ergeben und ließ sich ein paar Schritte zurückfallen. Der Frau konnte wohl tatsächlich nicht mehr geholfen werden, selbst wenn ihr neuer Infusionsbeutel so groß ausfallen würde wie ein Fesselballon. Zumindest schien sie den Weg zu kennen – wohin auch immer er sie beide führen mochte.
     
    Der Raum, in den der Korridor mündete, ließ sich fast schon als Halle bezeichnen; nicht sonderlich hoch, doch so ausgedehnt, dass Dutzende von weiß getünchten Säulen die Decke stützen mussten. Während der Raum höchstens dreißig Meter in der Breite maß, erstreckte er sich in der Länge über mindestens einhundert Meter, ehe er mit einer Wand abschloss, in die, wie Ka aus der Ferne zu erkennen glaubte, drei große Doppeltüren oder transparente Wände eingelassen waren.
    Das Auffälligste an der Halle war eine Konstruktion, die Ka zuerst für eine weitläufige Video-Installation hielt; eine endlose Phalanx aus Monitoren, die sich rundum an den Wänden erstreckte. Hunderte an der Zahl waren es, und allesamt defekt, wie es schien. Sie bildeten ein leuchtendes Band aus graugrünem Licht vor schäbigen, in Fünfergruppen unterteilten Sesselreihen. In den Sesseln saßen Menschen und sahen gebannt in die Höhe, während aus bunten Beuteln Unmengen an Injektionslösung in ihre Venen tröpfelten. Jeder Patient schien unter seinem eigenen Monitor zu kauern, fasziniert von dem stummen, grauen Flockengestöber, das er betrachtete. Mit sehnsüchtig-apathischen Blicken starrten die Menschen auf die Mattscheiben, ohne jemals zu blinzeln und so regungslos, als seien sie selbst aus Wachs modelliert und fester Bestandteil dieser orwellschen Anlage.
    »Warum sehen sie alle auf die Monitore?«, wunderte sich Ka, bemüht, in dem Gegrissel ebenfalls etwas zu erkennen.
    »Sie warten …«
    »Der Empfang ist gestört, vermutlich infolge des Bebens. Es ist absolut nichts zu sehen. Worauf also warten sie? Auf eine Armee Fernsehmechaniker?«
    »Auf die Bilder, die verblasst

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