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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Duat.«
    »Oh, da bin ich anderer Meinung«, widersprach ich und rief mir meine Odyssee mit Archon in Erinnerung. »Für mich war dieser ›kleine Schritt‹ fast so lang wie eure Reise zum Mondsee.«
    »Weil du …« Sie unterbrach sich.
    »Weil ich was?«
    »Verzeiht, ich darf nicht darüber sprechen.«
    »Natürlich.« Ich lehnte mich an die Balkontür und sah hinaus in die hässlichen grauen Wolken. Entbehren müssen die Verdammten das Sonnenlicht, verkünden die Unterweltsbücher über die Duat, und leben vom Abscheu ihrer Herzen. Laut den ägyptischen Jenseitsschriften vollzieht sich in den Regionen dieser Höllentiefe eine totale Umkehr aller Ordnung, in der die Verdammten vom Sein ins Nichtsein befördert werden und mit der Ausstoßung aus der Schöpfung den äußersten Grad der Gottesferne erreichen …
    Aber wie passte Neros Rom in dieses Konzept? Oder Babylon? Was hatte ein gesunkenes britisches Passagierschiff in der Duat zu suchen?
    Alles nur Kulisse!, hämmerte mein Verstand mir ein. Kulisse! Kulisse! Kulisse! Die Stimme der Vernunft überschrie das Gefühl, das unaufhaltsam in mir wuchs und sich anfühlte wie eine Dornenkugel, die durch meine Eingeweide wanderte.
    »Hast du dich noch nicht gefragt, weshalb du keinen Hunger oder Durst verspürt?«, riss Sahia mich aus meinen Grübeleien.
    »Ich denke nicht darüber nach.«
    »Weil ihr Ka diese Gedanken unterdrückt.«
    »Wenn das dort draußen tatsächlich die Duat ist, dann müsste ich tot sein …«
    Sahia schwieg, aber ihr Blick erzeugte mir eine Gänsehaut.
    »Nein!«, brauste ich auf. »Nein, nein, nein, das geht jetzt zu weit! Es reicht! Verschwinde!« Sahia sprang auf und wich zur Tür zurück, als ich wütend auf sie zugelaufen kam. »Okay, verzeih, ich fasse dich nicht an«, bremste ich mich und blieb mit erhobenen Händen vor ihr stehen. »Aber ich habe genug gehört von deinen Ammenmärchen. Mach, dass du rauskommst! Na los!«
    Sahia starrte mich aus weit aufgerissenen Augen an. Ihr Blick widerspiegelte Verzweiflung, Angst und sogar ein wenig Ärger über meine Halsstarrigkeit.
    »Du musst vor ihr fliehen«, beschwor sie mich. »Ihr Leib darf keine Frucht von dir tragen. Sie wird denen, die übrig sind, den Weg auf deine Welt bahnen und …«
    Ich schnitt ihr mit einer energischen Geste das Wort ab und riss die Tür auf. Sie schlug Sahia in den Rücken, worauf das Mädchen sich panisch gegen das Türblatt stemmte. Ich trat ein paar Schritte zurück und wartete, dass sie sich anschickte, den Raum zu verlassen.
    »Ich werde die Tür nicht verschließen«, erklärte sie, »nur die Riegel so weit vorschieben, dass es von unten nicht auffällt. Nimm dir meine Worte zu Herzen und flieh von hier, ehe es dir so ergeht wie mir. Such den Priester der heiligen Erde. Er kennt die Wege, die aus der Duat führen.« Dann lief sie lautlos nach draußen und zog die Pforte hinter sich zu.
     
    Statt Sahias Aufforderung nachzukommen, war mein oberstes Ziel, all die wirren Gedanken zu ordnen, die wie ägyptische Poltergeister in meinem Kopf tobten. Noch Stunden, nachdem Sahia das Zimmer verlassen hatte, lag ich grübelnd auf dem Bett und bemühte mich, das Gehörte in historische Fakten zu pressen und mit archäologischen Funden abzugleichen. Dennoch ertappte ich mich immer wieder dabei, alle Standpunkte unbewusst miteinander zu vermischen.
    Natürlich gibt es geschichtliche Zeugnisse von langwierigen kriegerischen Auseinandersetzungen in Ägypten. Um eintausend vor Christus, als laut Sahia der Krieg sein scheinbar katastrophales Ende fand und die Kemahor vertrieben waren, stand das Land plötzlich wirtschaftlich vor dem Ruin. Die Pharaonen hatten ihr Ansehen verloren, waren nicht mehr die Fleisch gewordenen Götter der Kemahor-Zeit. Ohne ihre herrschende Hand verkam Ägypten rasch zu einem Schatten seiner selbst. Nicht nur die Duat hatte nach der geheimnisvollen Katastrophe begonnen, sich zu verändern, sondern auch das Reich der Pharaonen.
    Ich drehte mich auf die Seite und starrte durch die Balkontür, in den grauen Wolkensud über der Stadt. Jegliche Gedanken an die drohende Gefahr, die mir angeblich von Sahias dämonischem Alter Ego drohte, an Leben und Tod, Freiheit und Verdammnis und die Duat verdrängte ich in den Hintergrund. Sollte Giza sich in meinem Unterbewusstsein mit dem ganzen Kram herumschlagen, während ich im Schlaf Vergessen suchte …

 

     
     
    Ein dumpfes Grollen wie ferner Kanonendonner ließ Ka aufhorchen. Unter seinen Füßen

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