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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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die Wahrheit zu sagen und berichteten von gewaltigen Seen, gespeist von den Flüssen des Mondgebirges. Aber die Priester glaubten ihnen nicht.«
    Sahia hielt für einen Augenblick inne und lauschte dabei, als höre sie Geräusche, die meinen Ohren verborgen blieben.
    Bei dem sagenhaften Mondmeer, überlegte ich, konnte es sich nur um den Victoria-See gehandelt haben. Aus großer Höhe musste seine spiegelnde Fläche wegen seiner halbwegs ovalen Form gewirkt haben, als ruhe der Mond inmitten bewaldeter Berge. Bei dem Mondgebirge handelte es sich zweifellos um das Ruwenzori-Gebirge, die Virunga-Vulkane und das Hochland von Tansania. In den dichten Urwäldern im Herz des Kontinents leben die menschenscheuen, zwergenhaften Pygmäen, und südwestlich des Victoria-Sees hüten die über zwei Meter großen Watussi ihre riesigen Viehherden. All das harmonierte mit Sahias Schilderung der Ereignisse.
    Hor Djers Gesandte mussten tatsächlich dort gewesen sein. Sie mussten bereits vor über fünftausend Jahren die Nilquellen erreicht haben …
    Aber woher sollten die Ägypter schon vor dieser Expedition gewusst haben, wie der Victoria-See aus einhundert Kilometern Höhe aussah? Ihr Kosmos wurde ihrer Vorstellung nach durch vier Punkte begrenzt: Sonnenaufgang im Osten, Sonnenuntergang im Westen, den Polarstern Thuban im Norden und die Nilquelle im Süden. Was mochte in den Schiffskapitänen und in den Matrosen vorgegangen sein, als sie sahen, dass es am südlichen Ende ihres Weltgefüges keine Himmelssäule gab? Ob sie glaubten, ihr Ziel noch immer nicht erreicht zu haben?
    »Als mein Gemahl sich weigerte, die Kapitäne zu bestrafen«, fuhr Sahia nach einer Weile fort, »kam es – angestachelt von den Dehuti-Priestern und den Kemahor – zur Palastrevolte. Mein Gemahl wurde gefangen genommen und sollte noch in derselben Nacht gemeinsam mit den Kapitänen hingerichtet werden. Dank meiner Hilfe gelang ihm jedoch die Flucht in den Norden. Als der Tag anbrach, saß bereits ein neuer Herrscher auf dem Thron des Pharao; ein Wechselbalg der Kemahor. Sein Name war Unephes.«
    »Pharao Wadj«, erkannte ich. »Sein Name bedeutet übersetzt König Schlange …« Ich hatte meinen Kopf in die Hände gestützt und betrachtete den Fußboden. Konnte all das wahr sein? Saß ich hier tatsächlich der leibhaftigen Gattin des letzten Horuskindes gegenüber, oder lediglich einer einfallsreichen Psychopathin? »Was geschah weiter?«, wollte ich wissen, in der Hoffnung, doch noch auf eine Ungereimtheit, einen offensichtlichen, für mich erkennbaren Fehler in Sahias Geschichte zu stoßen.
    »Gegen die Forderung der Dehuti-Priester, mich für meinen Königsverrat zu bestrafen, ließ mich Unephes am Leben.« Sie senkte den Kopf. »Er machte aus mir eine imachu. Es war die furchtbarste aller Strafen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Die Kemahor, die über Abdju herrschten, nahmen mir mein Ba und gaben es der Sata- Schlange, der sie in der Wüste huldigten, in einer Seelen-Barke zum Geschenk – als Leibeigene.«
    »Wem wurde gehuldigt? Apophis? Seti-Hehu?«
    »Ich darf nicht …«
    »Ja, ja, ja.« Ich massierte mein Gesicht. »Was geschah nach dem Umsturz?«
    »Die Kemahor brachten meinem Volk die Worte der Götter.«
    »Hieroglyphen«, nickte ich.
    »Sie führten zudem einen Sonnenkalender ein, der 365 Tage umfasste, und lehrten die Weisheit hinter den Zahlen.«
    »Die Mathematik.«
    »Sie barg unendliche Geheimnisse in sich und war doch gleichzeitig ein Schlüssel, um ebenso viele Geheimnisse zu enträtseln«, bekannte Sahia. »Nachdem ich hierher gebracht worden war, herrschten die Wechselbälger noch mehr als zweitausend Soth über das Land. Dann jedoch musste etwas Furchtbares, etwas Unaussprechliches passiert sein. Etwas, das den Krieg beendet und die Kemahor und all ihre Missgeburten von der Erde verbannt hatte. Ein Geheimnis war offenbart worden, das niemals hätte offenbart werden dürfen. Etwas, das als unzertrennbar galt, wurde getrennt und brachte furchtbare Katastrophen über das Land. Als die Welten sich endlich wieder beruhigt hatten, begann die Duat sich zu verändern – bis hin zu dem, was du nun siehst …«
    Ich schwieg eine lange Zeit, dann sagte ich: »Falls es stimmt was du erzählt hast und du tatsächlich am Hof von Pharao Hor Djer gelebt hast, wie …« Ich hob in einer ratlosen Geste die Arme. »Wie bist du hierher gekommen?«
    Sahia lächelte freudlos. »Es ist nur ein kleiner Schritt aus der Welt des Lebens hinüber in die

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