Morphogenesis
aus violetten Schuppen bildete an ihren Flanken ein labyrinthisches Muster, und an ihrer Schwanzspitze zitterte drohend ein ellenlanger, schwarzer Dorn …
Mit einem Mal erinnerte ich mich, wo ich diesen Schlangenkörper schon einmal gesehen hatte: in den Tiefen einer sechseckigen Pyramide am Fuße des Djebel Uweinat – als halluzinogenes Trugbild und unheilvolle Vision. Und plötzlich brach sich aus der Tiefe meines Unterbewusstseins ein Schwall von Erinnerungen Bahn – an den unterirdischen Turm in der Wüste, an den Ringsarkophag und den schweren schwarzen Staub, der den Grund des Schachts bedeckt hatte, an den Uräus-Armreif, den ich durch meine Finger hatte wandern lassen, und an die Worte aus dem Maul der Schlange: Men keb hatar! – Sei mir willkommen!
Sahias Blick offenbarte Wut, Bestürzung und etwas Schmerzvolles, Endgültiges, das dem Corrigan verborgen blieb. Ich stand wie angewurzelt auf der Stelle wie Lots Frau beim Blick auf Gomorrha, und auch Sahia – oder das Ding, das sie war – wirkte durch mein überraschendes Auftauchen unschlüssig. Ein heftiger Stoß in meinen Rücken brachte die Situation schließlich wieder in Schwung. Unsanft landete ich auf dem Boden, und als ich versuchte, mich zu erheben, hinderte mich daran ein Stiefel, der sich in meinen Nacken stellte.
Ich verdrehte meinen Hals, um den Angreifer zu erspähen. Über mir stand ein zweiter Corrigan mit gezücktem Schwert, dessen Spitze auf mich zeigte. Der Gnom hob die Waffe an, nahm seinen Fuß von meinem Genick und trat mir hart in die Hüfte, dann packte er mich mit der freien Pranke und riss mich herum. Hustend blieb ich auf dem Rücken liegen und hielt zwei zitternde Hände schützend vor meinen Körper.
»Da ist sie ja, die Made!«, keifte Kreuzbeißer, als er mich sah. »Hab ich dir Scheißer nicht gesagt, du sollst dein Maul halten?«
»Sei still!«, befahl Sahia.
»Einen Dreck werde ich!« Der Chroner stierte hasserfüllt herüber. »Lass dich niemals außerhalb dieser Mauern blicken, Günstling, hörst du? Niemals! Wenn wir dich draußen erwischen, dann …!«
Ein Schmerzensschrei beendete Kreuzbeißers Hasstirade, als Okabur einen Schwall Öl über seinen Schädel kippte. Die Flüssigkeit entzündete sich und hüllte den Teufelskopf augenblicklich in prasselnde Flammen. Sahia indes glitt näher und bedeutete dem Wächter, der mich in Schach hielt, von mir abzulassen. Ich wich vor dem Zwitterwesen zurück, doch nach zwei Metern endete meine halbherzige Flucht bereits wieder an den Stiefeln des Corrigans. Hatte ich anfangs gehofft, Sahia stecke in einem Kostüm, so war ich nun davon überzeugt, dass der Schlangenleib echt war, ein Teil von ihr, der pulsierte und lebte. Das Mädchen war eine Hybride aus Mensch und Reptil. Aber war sie ein Mensch, der sich in eine Schlange verwandeln konnte, oder eine Schlange, die fähig war, die Gestalt einer verführerischen Frau anzunehmen? War das, was über mir aufragte, die Entität, vor der Sahia mich versucht hatte zu warnen? Jenes Geschöpf, vor dem sie solche Angst hatte und das von ihr Besitz ergriff, sobald es ihren Köper brauchte?
»Fürchte dich nicht«, sprach das Zwitterwesen mit Sahias zauberhafter Stimme. »Ich werde dir nichts tun, so wie ich dafür Sorge trage, dass dir auch sonst niemand ein Leid zufügt.«
»Ha!«, machte Kreuzbeißer, dessen verbrannter Kopf qualmte wie eine Räucherkugel. »Früher oder später angeln wir uns diesen Krümelkacker, verlass dich drauf! Du kannst nicht überall sein, Meret!«
Das Schlangenwesen wirbelte mit einem wütenden Aufschrei herum, stieß eine zur Klaue gewandelte Hand in Kreuzbeißers Maul und riss dem Chroner mit einem Ruck die Zunge aus dem Rachen. Der Aufseher brüllte, dass mir das Blut in den Adern gefror, wobei ein Schwall rotschwarzen Blutes aus seinem Maul sprudelte. Dann ließ er seinen Kopf zu Boden sinken und blieb jammernd liegen. Unter seinem Gesicht bildete sich eine große dunkle Pfütze.
Während Sahia sich aufrichtete und das ausgerissene Organ wie einen fetten Aal vor sich hielt, hallte jener Name in meinem Kopf wider, mit dem der Chroner sie benannt hatte: Meret … Und mit einem Mal wusste ich, wer meine verführerische Gastgeberin war: Meretseger, die Uräusgöttin der Nekropolen, mächtigste der fünf Schlangendämonen, die über den höllischen Jenseitsgruben der Duat wachen und Feuer auf die Verdammten speien.
Sahia – die menschliche Sahia und Merets Leibeigene – hatte die Wahrheit gesagt;
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