Morphogenesis
aufzuschreien. Dampfschlieren krochen über die träge brodelnde Oberfläche des Sees. Ich drehte mich im Kreis, um mich zurechtzufinden, aber schon nach wenigen Metern verlor sich mein Blick in grauem Dunst. Detaillierte Formen existierten nur in unmittelbarer Nähe. Ich entdeckte weder die Mauern des Palastes noch die Felswand, die ich hinabgestürzt war, aber auch sonst nichts Architektonisches, woran ich mich hätte orientieren können. Lediglich totes Geäst und dampfende, knorrige Baumstümpfe reckten sich aus dem Sumpf, gespenstisch anzusehen wie riesige, in Agonie erstarrte Insekten. Offenbar war ich nach meinem Sturz von der zähen Strömung weit vom Fundament des Palastes abgetrieben worden …
Der Morast ging mir mancherorts bis zum Hals. Meine Füße jedoch berührten nachgiebigen Grund. Solange ich ihn unter mir spürte, fühlte ich mich einigermaßen sicher. Ich arbeitete mich langsam vorwärts, hüpfte und kraulte, soweit es die dickflüssige, schwarze Brühe zuließ, wobei ich mich des Gefühls nicht erwehren konnte, dass die Substanz etwas zu zäh an mir haftete, fast so, als wollte sie mich daran hindern, mich in ihr zu bewegen. Kopfgroße Blasen stiegen aus der Tiefe empor und zerplatzten mit dumpfen, satten Lauten, und ich machte mir Gedanken darüber, ob noch irgendetwas anderes in diesem Teersumpf lebte. Während ich nach Bewegungen Ausschau hielt, begann ich verhalten ein Lied vor mich hinzusingen. Erst der Klang meiner Stimme schenkte mir das Gefühl, allen Widrigkeiten zum Trotz immer noch am Leben zu sein. Dennoch drang sie zu zaghaft an meine Ohren, um eine wirkliche Ermutigung zu sein. Sie war Selbstschutz im Flüsterton, mehr nicht. Ich wiederholte einige Male den Refrain des Liedes, ließ ihn dann in ein befangenes Summen übergehen und verstummte schließlich. Das satte Glucksen der Gasblasen übernahm wieder die Herrschaft über den Sumpf.
Irgendetwas hatte sich verändert. Ich konnte zuerst nicht bestimmen, was es war, aber ich fühlte es. Mir schien, als hebe und senke der Boden sich unmerklich. Die Bewegung dauerte nur einen Augenblick und verebbte wie eine Welle. Gespannt blieb ich stehen, lauerte.
Ein schwarzer Kopf tauchte langsam vor mir auf, öffnete die Lider und musterte mich aus fahlen Augen. Ich sah ihn erstaunt an. Weitere Köpfe wuchsen aus der Tiefe empor, und mit einem Mal war ich umringt von schweigenden, pechverschmierten Gesichtern. Der Kopf vor mir gehörte einer Frau. Ein Schwall schwarzen Schlamms schoss ihr aus dem Mund, als sie zu sprechen versuchte. Sie würgte die widerliche Brühe aus ihrem Rachen hervor wie eine Kolbenpumpe, als tausche sie den Morast gegen Atemluft. Dann blickte sie mir in die Augen und glitt näher. Ihre Stimme klang wie die einer Sterbenden mit durchschnittener Kehle, deren Stimmbänder vom Blut verklebt waren.
»Yachtu almea heka?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich verstehe Sie nicht.«
Die Frau tauchte ein Stück weiter auf und sah in die Runde, dann fragte sie in schlecht akzentuiertem Englisch: »Wer bist du, der du in die Tiefe stürzt, um mit uns im Pech zu leiden?«
Ich zögerte. »Ich habe kein Verlangen, mit euch zu leiden«, entgegnete ich.
»Ich fragte, wer du bist, nicht, wonach du verlangst.« Ein drohender Hauch begleitete ihre Worte. Ich spürte ihre Hände, die mich unter der Oberfläche berührten und meinen Körper entlangglitten. Womöglich hatten ihre Begleiter unter der Oberfläche etliche Stichwaffen auf mich gerichtet.
»Ich heiße Krispin«, stellte ich mich vor.
»Krispin … Krispin …« Die Frau schloss die Augen, schien dem Klang meines Namens nachzulauschen. Ihre Hände wanderten hinter meinen Rücken, umarmten mich und zogen ihren Körper an mich heran. »Willkommen im fünften Tal, Krispin«, zischte sie mir ins Ohr und presste sich an mich. Weitere Hände berührten mich, strichen wie kriechende Krebse über meine Haut. Ich versuchte mich aus der Umklammerung zu befreien, doch der Griff der Frau war unnachgiebig. Ihre Begleiter umringten uns, legten ihre Arme um uns beide und hüllten uns so in einen Kokon aus Leibern. Fontänen aus Pech spritzten mir ins Gesicht, als sie ihre Lungen entleerten.
»Willkommen, Krispin«, raunten sie, wobei sie uns streichelten und umarmten. »Willkommen im fünften Tal!«
Ich versuchte mich zu wehren, ihre Arme von mir zu lösen und ihre Körper in den Morast zurückzustoßen, doch sie hielten uns eisern fest. Die Frau presste ihre Lippen auf meine, ihre klamme
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