Morphogenesis
Angeschnallt wie ein tobsüchtiger Irrer ruhte er auf der Liege und blickte auf zwei wie Ärzte gekleidete Personen, die nun in sein Blickfeld traten; ein Mann mit einem runden, teigig-bleichen Gesicht und kurzgeschorenem Schädel, und eine attraktive, zierliche Frau, die ihr langes schwarzes Haar im Nacken zu einem Knoten zusammengesteckt hatte. Ihre braune Haut wirkte im Licht der Lampen wie Bronze.
»Wissen Sie, warum Sie hier sind?«, fragte die Frau. Ihre Stimme war dunkel und besaß einen leicht metallischen Klang.
»Ich … wurde ohnmächtig«, krächzte Ka. Er drehte den Kopf, so weit es die Halsmanschette zuließ, und musterte die Weißgekleidete. »Warum bin ich hier?«
»Ihr Name« – die Frau blätterte in einer Akte – »ist Hippolyt.«
»Ist das der Grund?«
»Nein.« Sie lächelte. »Ich bin Schwester 26. Zählen Sie ein paar Persönlichkeiten auf, die den Vornamen ›Hippolyt‹ tragen.«
»Warum?«
»Fangen Sie an.«
»Ich – erinnere mich an keine«, gab Ka nach kurzem Überlegen zu.
»Wirklich nicht?« Die Schwester schüttelte betrübt den Kopf. »Das ist schade. Sagt Ihnen der Name Hippolyt Guarinonius etwas?«
»Nein.«
»Kennen Sie die Legende vom Krieg der ersten Götter?«
»Nein …«
»Aber Sie besitzen über ein Dutzend Fotografien von Reliefs, die ihn bekunden. Ist es nicht absurd, an etwas zu glauben, das man nicht kennt?«
Er schwieg irritiert.
»Was kennen Sie, Mister Ka?«
»Wie meinen Sie das?«
Ein Stromstoß jagte durch seinen Körper und zwang ihn zu einem Aufschrei. Keine Sekunde später drückte ihm die Halsmanschette wie eine Garotte die Kehle zu und erstickte seine Stimme. Seine Muskeln bebten, der Schmerz schien endlos anzudauern. Ka registrierte das Knacken seiner Kiefer, das Mahlen seiner Zähne, den unbeschreiblichen Druck aller Schreie, die in ihm gefangen blieben. Dann ebbte der Strom ab und ließ seinen aufgebäumten Leib zusammensinken. Als die Halsmanschette sich lockerte, sog er gierig Luft in die Lungen, bis der Schmerz seine Muskeln verließ.
»Wissen Sie, was das war, Mister Ka?« Die Schwester strich ihm mit einer Hand sanft über die Stirn.
»Eine – Bestrafung?« Tränen verschleierten seinen Blick, verwandelten das Licht der Deckenlampe in ein Kaleidoskop aus irisierenden Farben.
»Bestrafung ist nur ein unmaßgeblicher Terminus, Mister Ka. Was war es für Sie?«
»Schmerz …«
»Sehr richtig. Ein Schmerz, den Sie sich durch Ihre Beharrlichkeit selbst zugefügt haben. Ist dieser Schmerz in seinem Wesen also eine Strafe?«
»Nein.«
»Demnach kann er auch eine Belohnung gewesen sein, nicht wahr? Also noch einmal von vorn. Warum sind Sie hier?«
»Ich weiß es nicht.« Er schämte sich der Tränen, die ihm der Stromstoß entlockt hatte. »Warum bin ich hier? Warum …?«
Die Schwester nahm ihre Hand von seiner Stirn und ließ sie über seine nackte Schulter wandern. Dann senkte sie ihren Kopf auf seine Brust und begann, die Schweißtropfen von seiner Haut zu küssen.
»Wie gefällt Ihnen das, Mister Ka?«, fragte sie zwischen zwei Berührungen ihrer Lippen. »Fühlt es sich gut an?«
»Ja …«
Die Zunge der Schwester wanderte von Schweißperle zu Schweißperle. Die Frau sah ihn an und öffnete weit den Mund. Aus ihrem Rachen schoss ein metallisches Gebilde, bohrte sich mit einem harten Schlag in sein Fleisch und füllte seinen Brustkorb augenblicklich mit unsäglicher Hitze. Es war, als würde sein Blut durch siedendes Öl ersetzt. Der Schmerz breitete sich rasend schnell in seinem Körper aus und nahm immer noch zu, als das metallische Ding längst wieder im Mund der Schwester verschwunden war. Ka konnte nicht sagen, ob es Sekunden oder Stunden dauerte, bis der Schmerz vorüberging. Er zitterte, seine Kehle brannte vom irrsinnigen Schreien, der Schweiß sammelte sich kalt unter seinem Rücken.
Eine Hand legte sich auf seine Brust, eine zweite öffnete ihm das linke Augenlid. »Hören Sie mich, Mister Ka?« Er sah eine verschwommene Gestalt, die starr auf ihn nieder blickte. »Geben Sie ihm zwanzig Milligramm Naretan«, wies die Schwester den Mann im weißen Kittel an, der sich bisher gleichgültig im Hintergrund gehalten hatte. Augenblicke später fühlte Ka den Einstich einer Injektionsnadel im Unterarm. Kälte strömte in seine Vene, verflüchtigte sich in Höhe der Achsel und bereitete ihm ein angenehmes Gefühl der Entspannung.
»Hören Sie mich?«, erkundigte die Schwester sich ein zweites Mal.
»Ja…« Kas Stimme war
Weitere Kostenlose Bücher