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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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sie in der Küche vor dem Teller saß, mit irgendeiner Speise, die sie sich zwar zubereitet hatte, aber nicht aß. Dick war sie nie gewesen, aber da war sie fast nur mehr Haut und Knochen.
    Wer weiß, was passiert wäre, hätte sie in dieser Phase Ferruccio nicht gehabt. Ferruccio, der nach Deutschland deportiert worden war, wo er bis Kriegsende in einem Rüstungsbetrieb gearbeitet hatte, der aber 1946 wieder auftauchte. Sie müssen essen, sagte er, wenigstens einige Löffel Polenta, kommen Sie schon, ich bitte Sie! Ferruccio war es auch, der sie nach ihrem Selbstmordversuch fand und sofort alle Fenster aufriss – das Gas, sagte er später, habe er schon unten, auf den ersten Treppenstufen, gerochen.
18
    Julia stand auf, duschte, zog sich an, frühstückte, bezahlte die Nächtigung und die Extras, die sie sich aus der Minibar gegönnt hatte, nahm ihre Reisetasche und ging zum Bahnhof. Es war ein schöner Tag, obwohl das Licht hier oben im Veneto stets etwas diesig war, nie so klar, nie so warm wie unten in der Toskana. Sie stand auf dem Bahnsteig und wartete auf den Zug. Der Zug kam fast ohne Verspätung, sie stieg ein und fuhr Richtung Wien.
    Sie hatte eigentlich vorgehabt, auf der Fahrt noch einiges zu Miss Molly zu notieren. Sie begann auch damit, aber in Udine stieg ein Mann zu, der sie nach einer Weile in ein Gespräch zog. Ein Gespräch, das sie zwar nicht besonders interessierte, aber ablenkte. Worüber sie sich zwar einerseits ein bisschen ärgerte, aber wofür sie anderseits auch dankbar war.
    Er war Österreicher, er war in Udine auf irgendeiner Messe gewesen. Er sah nicht schlecht aus, er hatte ein ganz sympathisches Lächeln, er fuhr auch nach Wien. Bis dorthin erzählte er ihr Verschiedenes, sie erzählte ihm auch einiges, aber nichts von Mortimer und Molly. Auch später nicht, weder vor noch nach der Hochzeit, denn das war eine ganz andere Geschichte.

Sieben
1
    Eines Abends Anfang August 1999, zwischen 18 und 19 Uhr, klingelte in Julias psychologischer Praxis in der Wiener Spittelberggasse das Telefon. Sie hatte vergessen, den Apparat auszuschalten, was sie sonst selbstverständlich immer tat, wenn Klienten bei ihr waren. Entschuldigung, sagte sie und holte das nach. Sie war ein bisschen zerstreut in den letzten Tagen.
    Dann signalisierte das Blinklicht, dass die Anruferin oder der Anrufer es noch einmal versuchte. Und dann, dass sie oder er nun aufs Tonband sprach. Julia sah das aus den Augenwinkeln. Die Klienten, ein Mann und eine Frau, die einander sehr ähnlich sahen, weil sie schon viele Jahre beisammen waren, erörterten gerade, was sie einander angeblich angetan hatten, und fielen einander dabei ständig ins Wort.
    Das sollte natürlich nicht sein. Obwohl es signifikant war. Als Animatorin regte Julia ihre Klienten durchaus an, sich nicht zu viel Zwang aufzuerlegen, aber als Therapeutin musste sie den Prozess, der dann ablief, doch irgendwie steuern. Sie musste das Gespräch und die Interaktion zwischen den Paaren ja halbwegs im Griff behalten. Das war jedenfalls ihre Auffassung von Paartherapie, es gab Kolleginnen und Kollegen, die das anders machten, mehr Action, Räume, in denen die Klienten sich abreagieren konnten, aber davon hielt Julia nicht viel.
    Und die beiden hier trieben es ohnehin weit. Julia schaffte es einfach nicht mehr, ihrer simultanen Darbietung zu folgen. Sie fand sie auch schlicht und einfach unangenehm. Okay, auch dafür, dass sie so etwas aushielt, wurde sie bezahlt, und das gar nicht schlecht, aber heute fühlte sie sich davon überfordert.
    Ehrlich gestanden ging es ihr schon eine Weile so. Ihre Konzentration auf die Klienten ließ nach, auch ihr guter Wille, sich auf ihre Probleme einzulassen. Als Paartherapeutin war sie mit Fällen konfrontiert, in denen Leute glaubten, sich trennen zu müssen, aber vielleicht doch lieber beisammenbleiben sollten oder umgekehrt. Aber auf die Dauer war das
faticoso
, ermüdend, eigenartigerweise fiel ihr jetzt zuerst das italienische Wort ein, obwohl sie schon lang nicht Italienisch gesprochen hatte.
    Ach was, trennen Sie sich doch, dachte sie manchmal, oder bleiben Sie beisammen, was geht das mich an?! Sie wollte jetzt nicht mehr. Sie brauchte eine Pause. Es war August. Auf dem Kastanienbaum draußen im Hof sang eine Amsel. Wissen Sie was?, sagte sie zu den beiden einander belustigend oder erschreckend ähnlichen Menschen, die da vor ihr ihre eheliche Schmutzwäsche auswrangen: Miteinander streiten können Sie auch zu Hause.
    Sie

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