Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
Vom Netzwerk:
Museum besuchen und dann etwa in einem netten Café sitzen und einen kleinen Imbiss nehmen konnte.
    Das Florenz da draußen vor den Fenstern, deren Vorhänge sie lieber zugezogen ließ, obwohl die Dunkelheit zum Gefühl der Beengung, das sich ihr auf die Brust legte, beitrug, war ein bedrohlicher Bereich. Voll von unberechenbaren Gefahren, denen sie sich wahrscheinlich besser nicht aussetzte. Nein, das wäre sträflicher Leichtsinn gewesen. Sie blieb also vorläufig im Hotel, obwohl sie, bei aller relativen Höhe des Raums, das Gefühl hatte, dass ihr die Zimmerdecke auf den Kopf fiel.
    Saß da und lauschte auf die Geräusche von draußen. Auf Geräusche vom Gang (etwa das leise Summen des Lifts, wenn er in seinem Schacht hinauf- oder hinunterfuhr, oder das eigenartig laute Auf- oder Zusperren benachbarter Zimmertüren). Auf Geräusche aus dem Foyer (vor allem das Klingeln des Telefons an der Rezeption). Und auf Geräusche, die trotz der zugezogenen Vorhänge von der Straße hereindrangen.
    Geräusche und Stimmen hörte Molly, immer mehr Stimmen. Stimmen, von denen manche Italienisch und manche Deutsch sprachen. Letztere oft in dem bellenden Tonfall, der zum Auftreten der deutschen Soldaten als Machtmenschen gehörte. Diese Armee nannte sich nicht von ungefähr
Wehr-Macht
.
    Molly verstand einigermaßen Deutsch, sie hatte versucht, einige deutsche Dichter im Original zu lesen. Sie konnte sogar ein paar Zeilen auswendig,
by heart
, wie das auf Englisch so subtil heißt.
Über allen Gipfeln ist Ruh / in allen Wipfeln spürest du / kaum einen Hauch
, ja, genau, das zum Beispiel. Und sie fragte sich, ob Goethe, Schiller, Hölderlin und wie sie alle hießen, auch zu diesem kurzatmig-kaltschnäuzigen Gekläff imstande gewesen wären – aber nein, das wollte sie sich lieber gar nicht vorstellen.
    Die italienischen Stimmen klangen wie immer. Aufs Erste jedenfalls machten sie diesen Eindruck. Doch wenn man genauer hinhörte, wenn Molly genauer hinhörte ... Dann klangen sie doch etwas weniger laut, weniger unbeschwert als gewöhnlich.
    Stimmen, die sich sonst hemmungslos entfaltet hatten, mit viel Freude an der Sprache, die ihnen gegeben war ... Diese Stimmen schienen sich nun – ja, das war’s – zurückzunehmen. Vielleicht weil manche Ohren nicht hören sollten, was sie sagten. Vielleicht jedoch auch deshalb, weil einfach Angst auf ihnen lag – aber vielleicht war das ja eine Projektion.
    Molly jedenfalls hatte Angst, und sie gestand sich das auch ohne weiteres ein. Sie sollte die Contessa Rossi um sieben treffen, aber es waren zu viele Stunden bis dahin. Sie hörte Stimmen und Geräusche von draußen, sie hörte Fahrzeuge vorbeirollen, einmal begannen die feinen Glasblättchen des Muranoglas-Lusters zu zittern. Und dann bewegte sich das Bild an der Wand (eine blattgolden gerahmte Kopie der
Venus
von Botticelli) und Molly befürchtete schon, das seien die ersten Wellen eines Erdbebens, bis sie begriff, dass irgendwo, nicht in unmittelbarer Nähe, nicht in den engen Gassen rund um dieses Hotel, aber vielleicht doch nicht mehr als ein paar hundert Meter entfernt, womöglich am Lungarno, Panzer vorbeifuhren.
    Auch Pfiffe und Schüsse hörte Miss Molly in diesen Stunden. Und dann, schon am Nachmittag, das Geheul von Sirenen. Im Haus setzte darauf ein Getrappel von Schritten auf den Gängen und Treppen ein, offenbar liefen die anderen Gäste und das Personal hinunter in den Keller. Aber Molly, um die sich niemand kümmerte, was sie bei aller Angst erleichterte, blieb im Zimmer sitzen, in dem es jetzt finster war (entweder war der Strom ohnehin ausgefallen, oder es gab Verdunkelungsvorschriften und irgendjemand hatte einen Generalschalter umgelegt), und wartete einfach, bis es vorbei war, entweder mit ihr oder mit diesem Horror.
15
    Und sie dachte an Mortimer, natürlich dachte sie die ganze Zeit über auch an Mortimer ... Ob er noch im Mauerhaus war?
Bei mir
im Mauerhaus, dachte sie ... Obwohl sie ja nun selbst nicht mehr dort war, und wer weiß, ob sie je wieder hinkommen würde ... Aber sie dachte das so, als könnte sie ihn durch das Mauerhaus, in dem hoffentlich noch etwas von ihr, von ihrer Energie, ihrer Aura, zu spüren sein würde, nach wie vor ein wenig beschützen.
    Mach dir keine Sorgen um mich, hatte er gesagt, aber natürlich machte sie sich Sorgen um ihn ... Er würde doch hoffentlich keinen Ausfallsversuch unternehmen! ... Besser, er blieb, wo er war, wo ihn niemand vermutete ... Das konnte er doch jetzt tun,

Weitere Kostenlose Bücher