Mortimer & Miss Molly
wenn ihn Ferruccio mit dem Nötigsten versorgte.
Ja, dachte sie, wenn er noch im Mauerhaus wäre, das wäre besser ... Das wäre unter den gegebenen Umständen das Beste ... Lieber Gott, betete sie, mach, dass er im Mauerhaus bleibt ... Im Mauerhaus ist er nach wie vor sicherer als draußen.
Das stimmte doch, oder? Vorausgesetzt allerdings, dass nicht auch in San Vito inzwischen Bomben fielen ... Der Alarm damals, vor zwei Wochen (oder waren es nun schon drei?), dieser Alarm, den er selbst mit seinem angeblichen Aufklärungsflug ausgelöst hatte, war ja, wenn er sie nicht belogen hatte, ein falscher Alarm gewesen ... Er hätte ja, hatte er behauptet, gar keine Bomben an Bord gehabt ... Aber seine Kameraden, die jetzt womöglich nachkamen, jetzt, da die große Offensive, die doch seit Monaten in der Luft lag, vielleicht wirklich einsetzte, würden zweifellos Bomben an Bord haben.
Und würden sie abwerfen. Das war ja der Sinn ihrer Flüge ... Der Sinn in diesem großen Wahnsinn, der sich Krieg nannte ... Und da konnte es sein, ja, da war es durchaus denkbar ... Nein, nur das nicht!, dachte sie. Nein, bitte, lieber Gott, nur das nicht!
16
Und dann war es sechs, und Molly verließ das Hotel. Erleichtert einerseits, dass sie die bedrückende Zimmerdecke nicht mehr über sich hatte, aber auch ohne Vertrauen zu dem übrigens noch erstaunlich hellen Himmel. Ein blauer Himmel mit weißen, von der Abendsonne an den Rändern fast golden gefärbten Wölkchen. Und das war der Himmel, aus dem noch vor wenigen Stunden Bomben gefallen waren.
Und das Leben schien einfach weiterzugehen. In der Nähe des Hotels gab es keine Bombenschäden. Vielleicht weiter flussaufwärts, dachte Molly, wo sich ihrer vagen Erinnerung nach Industrieanlagen ausbreiteten. Sie war froh, dass die Ecke, an der sie die Contessa treffen sollte, flussabwärts lag.
Eine Ecke in der Nähe der Biblioteca Nazionale. Die Contessa Rossi, eine Dame mit schwarzem Hütchen und weißem Netzschleier, würde, ein rotes Buch in der linken Hand, aus einem Seitenportal der Bibliothek treten. Molly sollte ihr im Abstand von etwa fünfzig Schritten folgen. Die Contessa würde dann in einer der nächsten Gassen in einen Hauseingang schlüpfen, das Tor würde offen bleiben, bis Molly ihr nachgekommen sei.
Miss Molly war bei alldem natürlich nicht wohl. Den ganzen Weg vom Hotel bis zu jener Ecke (dort wo der etwas schräg verlaufende Borgo Santa Croce die in gerader Linie zur Piazza Santa Croce führende Via Magliabechi kreuzt) hatte sie bereits weiche Knie. Der Weg war kürzer, als sie gedacht hatte, sie hatte nicht mehr als eine Viertelstunde bis hierher gebraucht. Doch jetzt stand sie da und fragte sich, ob der Treffpunkt hier wirklich eine gute Wahl war und ob sie, wenn die Contessa ein bisschen länger auf sich warten ließe, nicht auffiele.
Die Contessa ließ allerdings nicht auf sich warten. Schlag sieben (die Glocken der Basilika Santa Croce läuteten keine zweihundert Meter entfernt) trat sie aus dem Portal. Sie war kleiner, als sie Molly sich vorgestellt hatte, nicht im Alter der Marchesa, sondern um einiges jünger. Wahrscheinlich keine vierzig (wenn das stimmte, so war sie auch drei, vier Jahre jünger als Molly). Das schwarze Hütchen und der weiße Netzschleier standen ihr ausgesprochen gut. Auch das elegante graue Kostüm, das ihre schmale Taille betonte. Das rot eingebundene Buch trug sie wie vereinbart in der linken Hand. Die hohen Absätze ihrer Schuhe klapperten auf dem Pflaster.
Sie ging voraus, und Miss Molly ging ihr nach. Aber plötzlich war die elegante Dame von zwei weniger eleganten Herren flankiert. Nicht dass sie geradezu schlecht gekleidet gewesen wären, aber sehr unauffällig. Zwei Herren, die unter den wenigen Passanten, die um diese Stunde durch die Via Magliabechi gingen, nicht auffielen.
Zwei Herren, die jedenfalls nicht zu dieser Dame passten. Sie fassten sie nichtsdestoweniger links und rechts unter den Armen. Und geleiteten sie mit einem gewissen Nachdruck an den Rand des Bürgersteigs. Wo exakt im selben Moment ein nicht weiter auffälliges Auto hielt.
Dann öffnete der eine die Tür zum Hintersitz, was einen Moment lang fast höflich wirkte, bevor der andere sie eher unsanft nötigte einzusteigen. Und schon saßen die beiden Herren links und rechts von ihr. Und der Fahrer, der wahrscheinlich ebenso unauffällig aussah (aber den konnte Molly, die der Contessa in einem Abstand von etwa fünfzig Schritten gefolgt war, aus ihrer
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