Mortimer & Miss Molly
hatten einen Plan erstellt, nach dem hoffentlich alles ablaufen würde. Ferruccio holt dich morgen Früh um fünf ab, sagte sie, und bringt dich mit einem unauffälligen Auto nach Florenz.
Er bringt dich in ein Hotel, in dem ein Zimmer für dich reserviert ist. Dort kannst du dich vorerst für ein paar Stunden ausruhen. Die Contessa triffst du dann um Punkt sieben Uhr abends. Exakt um diese Zeit wird sie aus einem Seitenausgang der Nationalbibliothek treten.
Und so weiter. Wie schon ihr Mann bemühte sich auch die Marchesa um Sachlichkeit. Sie mochte Molly. Sie schätzte sie nicht nur wegen der didaktischen und erzieherischen Qualitäten, die ihren Töchtern zugutegekommen waren. Natürlich war ihr nicht entgangen, dass und wie sich ihr Gatte um die junge Gouvernante bemüht hatte (das war zu erwarten gewesen). Aber dass und wie ihm Molly widerstanden hatte, rechnete sie ihr hoch an.
Jetzt umarmte sie Molly und küsste sie auf beide Wangen.
Stammi bene
, sagte sie, mach’s gut! Und grüß mir Chiara! Du wirst sehen, wie schön sie es hat, dort oben in der Schweiz. Und dann ging auch sie recht rasch, um nicht die Contenance zu verlieren.
Und dann war Nacht und Mortimer lag zum ersten Mal nicht auf dem Sofa im
soggiorno
, sondern in Mollys Bett. Komm, hatte sie gesagt, ich will heute Nacht nicht allein sein. Und sie streichelte ihn, und er streichelte sie. Und das war’s. Doch dabei waren sie einander sehr nahe.
12
Und dann der Morgen. Sie lagen schon länger wach. Oben auf dem Dach gurrten die Tauben noch etwas verschlafen, auf einem der Baumwipfel begann eine Amsel zu singen. Mollys Kopf lag noch immer an Mortimers Brust. Die Glocken vom Campanile drüben würden gleich halb fünf schlagen.
Noch ein wenig Zeit. So wenig Zeit. Noch ein paar Minuten, dachte Molly. Mortimers Brust war die eines starken Mannes. Sie bewegte sich ruhig und regelmäßig auf und ab. Es lag sich gut auf dieser Brust, sie wäre gern noch länger darauf liegen geblieben.
Sie hätte auch seine Hand gern noch länger gespürt. Diese große, erstaunlich sensible Hand. Diese Finger, die jetzt noch einmal ihr Gesicht ertasteten – Stirn, Augenbrauen, Nase, Lippen, so als wollte er sich ihre Züge auch oder insbesondere haptisch einprägen. Aber es nützte nichts, sie musste sich von ihm losreißen. Ferruccio würde um fünf klingeln.
Und dann ging alles sehr schnell und nüchtern zu. Sie stand auf, wusch sich rasch, fuhr sich mit dem Kamm durchs Haar. Einen kleinen Koffer, in dem nicht mehr war, als eine bescheidene Frau am allernötigsten brauchte, hatte sie schon am Abend gepackt. Und dann schlang sie noch einmal die Arme um Mortimer, aber nur ganz kurz, ohne zu klammern.
Es war ein unverschämt schöner Morgen. Als Molly aus der Tür trat, an der Ferruccio dezent wartete, glitzerten noch Tautropfen auf den Hecken. Eine Katze, die noch nicht gefangen und als falsches Kaninchen auf einem armen Tisch gelandet war, strich durchs mild vom Wind bewegte Gras. Als Molly sich noch einmal umsah, erstrahlte die Ziegelfront des Mauerhauses in einem fast unwirklichen Rot.
13
Der Camion, mit dem Ferruccio sie nach Florenz bringen sollte, stand etwas abseits in der Via della Piagga. So hatte es der Marchese angeordnet. Vielleicht war es doch besser, nicht allzu viel Aufsehen zu erregen. Es war aber ohnehin so früh, dass es sehr unwahrscheinlich war, jemanden zu treffen.
So fuhren sie los. Lieber nicht geradewegs über die Via Cassia, sondern auf Nebenstraßen. Die Landstraßen lagen erstaunlich friedlich und leer. Hie und da gab es allerdings kleine Erhebungen am Straßenrand, die ein wenig an Maulwurfshügel erinnerten. Das seien die Stellen, sagte Ferruccio, wo die Deutschen bereits Minen gelegt hätten – sehen Sie, sagte er, die bereiten schon ihren Rückzug vor, es wird nicht mehr lang dauern.
Längstens zu Pfingsten, sagte Ferruccio, werden die Alliierten da sein. Auf die Dauer können sie die Deutschen nicht aufhalten. Die werden sich nach Norden zurückziehen, in den Appenin. Jetzt allerdings, schon ein Stück nach Siena, begegneten sie einigen deutschen Lastwagen, die in die Gegenrichtung fuhren.
Dann kamen sie an Poggibonsi vorbei. Dort sah es schlimm aus. Die kleine Stadt war schon zum zweiten Mal bombardiert worden. Von britischen Flugzeugen dem Vernehmen nach. Angeblich hatten die nur die Bahnlinie treffen wollen (der Bahnhof war eine ausgebrannte Ruine), doch wie man jetzt sah, lag auch ein Teil des
centro storico
in Schutt und
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