Mortimer & Miss Molly
wohnen bleiben.
Sie sah ihn groß an, aber ihre Pupillen wurden auf einmal ganz klein. Der Schreck über diese Ankündigung traf sie tief.
Die Regierung oben in Salò, sagte der Marchese, habe ein neues Gesetz verabschiedet. Ein Gesetz, demzufolge alle noch in Italien verbliebenen Engländerinnen und Amerikanerinnen (und davon gab es offenbar nicht ganz wenige) in Lagern interniert werden sollten.
Aber sie habe doch, sagte Molly, Papiere ...
Ja, sagte der Marchese, natürlich. Die Papiere, die er ihr vorsorglich verschafft habe. Aber es sei nicht sicher, ob sich die Leute, die dieses Gesetz exekutieren sollten, von solchen Papieren wirklich beeindrucken ließen. Das seien Leute, die imstande seien, solche Papiere einfach zu zerreißen.
Wir haben gehofft, dass alles nicht ganz so schlimm wird. Zumindest hier, in unserem Einflussbereich. Aber diese Leute – der Dreck, der jetzt an die Oberfläche schwimmt, nachdem in der Suppenschüssel Italien zu viel umgerührt worden ist – diese Leute sind unberechenbar. Bevor sie abserviert werden, versuchen sie noch möglichst viel Unheil anzurichten.
Hör zu, Molly, sagte er. Ferruccio fährt dich nach Florenz. Dort triffst du eine unserer besten Freundinnen, die Contessa Rossi. Sie hat dieser Tage schon vielen Leuten geholfen. Sie wird eine Möglichkeit finden, dich an die Schweizer Grenze zu bringen ... In der Schweiz, in Lugano, wirst du dann von Chiara erwartet. Die wird sich freuen, ihre Miss Molly wiederzusehen. Du wirst bei ihr und ihrem Gatten zu Gast sein. Alles Weitere wird sich weisen – Hauptsache ist, dass du fürs Erste einmal in Sicherheit bist.
Aber das geht nicht!, sagte Molly. Ich kann nicht von hier weg!
Ich weiß, du hängst an diesem Haus, sagte der Marchese, und du hängst an diesem Garten. Aber du kannst und du wirst, so Gott will, ja zurückkommen. Wenn wir das hoffentlich alles hinter uns haben und wenn dann das Mauerhaus noch steht, steht es dir immer offen.
Nur jetzt musst du weg, solang es noch möglich ist. Molly! Hör zu! Es gibt auch hier im Ort Leute, denen wir nicht mehr trauen können. Leute, die imstande sind, dich zu denunzieren.
Madonna putana!
Du willst doch nicht in ein Lager!
So redete er auf sie ein.
Aber das geht nicht!, wiederholte sie. Sie könne und wolle gerade jetzt nicht weg von hier.
Was soll denn das heißen?, sagte der Marchese. Gerade jetzt?! ... Wann, wenn nicht jetzt? In ein paar Tagen ist es vielleicht schon zu spät!
Morgen, sagte er. Morgen Früh wird Ferruccio dich abholen. Hier, sagte er, und legte ein Kuvert auf den Tisch. Es enthalte ihr Salär für die nächsten drei Monate und ein wenig Geld darüber hinaus. Du wirst es brauchen, sagte er. Also sei nicht dumm, und nimm es!
Heute Nachmittag, sagte er, wird meine Frau noch bei dir vorbeikommen. Nicht nur, um sich von dir zu verabschieden, sondern auch, um dir alles zu sagen, was du morgen in Florenz wissen musst. Und jetzt leb wohl.
Mit diesen Worten küsste er sie auf die Stirn. Und dann ging er schnell, denn er wollte nicht sentimental werden.
11
Nichts oder fast nichts von diesem Gespräch hatte Mortimer verstanden. Aber die Stimmung hatte er mitbekommen. Nun hatte sich der Marchese offenbar verabschiedet. Seine Schritte auf der Treppe waren zu hören gewesen und dann die Eingangstür, die unten ins Schloss fiel.
Doch statt Entwarnung zu geben, statt zu rufen, dass die Luft wieder rein sei, wie sie es gemacht hatte, wenn Ferruccio da gewesen war, blieb Molly still. Warum bloß? Befürchtete sie, dass der Marchese umkehrte und zurückkam?
Mortimer wartete noch eine Weile, aber dann wagte er sich aus seinem Versteck hervor. Sie saß da, die Ellbogen auf der Tischplatte aufgestützt, die Hände vors Gesicht geschlagen.
Er trat neben sie und legte ihr den Arm um die Schulter. Was hast du?, fragte er. Was ist los? Was hat dieser Kerl gesagt?
Ich soll von hier weg, sagte sie. Ich soll weg aus diesem Haus, weil sie mich sonst holen ... Und was machen wir nun? Was wird denn dann aus dir? Was sollen wir tun?
Und sie stellte ihm die Lage dar, wie sie der Marchese ihr dargestellt hatte. Und er holte den Stuhl vom anderen Ende des Tisches und rückte ihn an ihre Seite. Du musst sehen, dass du davonkommst, sagte er. Gar keine Frage. Um mich mach dir keine Sorgen. Ich werd mich schon durchschlagen.
Am Nachmittag kam dann tatsächlich noch die Marchesa. Sie unterrichtete Molly über alles, was sie für den nächsten Tag wissen musste. Der Marchese und sie
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