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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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nicht.
    Zurück in Turin, besuchte Marco zuallererst seine Mutter. Sie empfing ihn mit dunklen Sonnenbrillen bei geschlossenen Fensterläden.
    Bist
du
es?, sagte sie.
    Ja, Mamma, sagte er, ich bin es.
    Wo warst du so lang?, fragte sie. Du hast mir schlaflose Nächte verursacht.
    Ich habe dich schon als Opfer eines Verkehrsunfalls gesehen. Im Fernsehen haben sie von entsetzlichen Karambolagen berichtet. Achtzig oder neunzig Tote, Hunderte Verletzte. Und du, unterwegs mit dieser Klapperkiste – wenn du Arzt bist, musst du dir ein anständiges Auto kaufen.
    Ja, Mamma, sagte er.
    Magst du Vin Santo?, fragte sie.
    Nein, Mamma, sagte er.
    Nelda!, rief sie. Bringen Sie uns Vin Santo und Cantucci.
    Auch als Wasserleiche im Meer habe sie ihn schon gesehen. Je schlechter ihre Sehkraft nach außen werde, desto besser werde ihre Sehkraft nach innen.
    Aber Mamma, sagte er, ich war gar nicht am Meer!
    Warum isst du die Cantucci nicht?, fragte sie. Sie sind aus der Konditorei
Medico
.
    Ich mag keine Cantucci, sagte Marco.
    Aber die sind exquisit, sagte seine Mutter. Wenn du sie in den Vin Santo tauchst, sind sie ein Gedicht.
    Anfangs ging Marco Julia ziemlich ab. Namentlich in der Nacht, wenn sie aufwachte und bemerkte, dass er nicht neben ihr lag. Zu zweit wäre es in ihrem Bett allerdings auch etwas eng gewesen. Es war zwar ein besseres Bett als das im
Albergo Fantini
, nicht im Geringsten durchhängend, sondern mit solider Federkernmatratze, aber es war ganz eindeutig ein Einzelbett.
    Im Traum war Marco manchmal trotzdem bei ihr. Sie spürte seine Schulter, sie spürte seinen Arm und seinen Brustkorb, sie spürte seinen Bauch und seinen Schwanz. In San Vito hatten sie manchmal auch im Halbschlaf zueinander gefunden. Hier in Wien, als sie sich ihm im Traum einmal zu heftig zuwandte, verlor sie die Orientierung und geriet gefährlich nah an den Abgrund.
    Abgrund
war natürlich übertrieben, das Bett samt Matratze war ja kaum einen Meter hoch. Aber in der Dämmerung kam es ihr so vor, als wäre der Parkettboden, auf dem sie, hätte sie sich nicht noch im letzten Moment besonnen, hart gelandet wäre, sehr tief unten. Sie setzte sich auf. Durchs Fenster fiel nur ein graues, diffuses Licht. Erst als sie mit sehr vorsichtigen Zehen ihre Pantoffeln ertastet hatte, war sie sicher, dass die Dimensionen wieder stimmten.
    Natürlich dachte auch Marco an Julia. Besonders intensiv dachte er an sie, als er die Filme entwickelte, die er dem kleinen Fotografen Paolo in der Via Dante lieber nicht anvertraut hatte. Dieser Paolo war ein netter Mensch, der sein Handwerk verstand, es gab keinen Grund, seinen Fähigkeiten zu misstrauen. Aber gewisse Aufnahmen sollte er besser doch nicht zu Gesicht bekommen.
    Fotos von Julia, die Marco unten am Fluss aufgenommen hatte. Auf dem großen, flachen Stein, auf dem sie und er so gern in der Sonne gelegen waren. Und Fotos aus dem Zimmer, in dem sie, der Enge des Raums und der bescheidenen Einrichtung zum Trotz, so viel Freude aneinander gehabt hatten. Julia in Situationen und Positionen, in denen sie ihm besonders gut gefiel.
    Namentlich die Fotos mit dem Schleier gefielen ihm. Genau genommen war es kein Schleier, sondern ein gehäkeltes Tuch, das er ihr auf dem Wochenmarkt gekauft hatte. Ein großes, schwarzes Tuch mit großen Maschen und Fransen, ein Tuch, das wahrscheinlich in Sizilien hergestellt worden war. Hätte es eine sizilianische Bäuerin getragen, so hätte es streng ausgesehen, aber so wie es Julia trug, wirkte es ganz anders.
    Ein Tuch, das gleichzeitig verhüllte und enthüllte. Etwas Orientalisches hatte dieses Tuch, und etwas Orientalisches hatte auch Julia auf diesen Bildern. Allerdings mit einem etwas spöttischen Glitzern in den Augen. Als ob sie sich ein wenig über Marco amüsierte, der sich von solchen Szenen erregen ließ.
    Wenn Marco Fotos ausarbeitete, verwandelte er sein Badezimmer in eine Dunkelkammer. Zum Trocknen befestigte er die Fotos mit Wäscheklammern an einer über die Badewanne gespannten Wäscheleine. Am nächsten Tag kaufte er einen Rahmen, ein paar Nägel und Bilderhaken und hängte das Bild über seine Couch. Aber als kurz darauf das Telefon klingelte und sein Freund Sergio fragte, ob er bei ihm vorbeikommen solle – er sei gerade in der Nähe, sie hätten sich lang nicht gesehen und hätten einander sicher viel zu erzählen –, nahm Marco das schöne Bild rasch wieder ab und verschloss es in der Schreibtischlade.
    Ein anderes Foto (das, auf dem sie beide vor der

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