Mortimer & Miss Molly
Porta Pellegrini standen und auf das Surren des Selbstauslösers warteten) steckte er ein paar Tage später in ein Kuvert. Auf die Rückseite hatte er ein paar sehr liebe Zeilen geschrieben. Teils auf Französisch, teils auf Italienisch. Hätte Julia sie rechtzeitig gelesen, so wäre sie nichts als gerührt gewesen.
Doch die Beförderung von Briefen zwischen Italien und Österreich dauerte damals absurd lang. Wäre die Post noch mit der Kutsche befördert worden, so hätte ihre Zustellung auch nicht viel länger gedauert. Irgendwo diesseits oder jenseits der Grenze blieben die Briefe anscheinend tage- oder wochenlang liegen. Aber vielleicht wusste Marco das nicht – bis dahin hatte er noch keine Freundin jenseits der Alpen gehabt.
Warum schreibt er nicht?, fragte sich Julia mit von Tag zu Tag wachsendem Groll. Warum schreibt dieser Mensch nicht, warum schreibt dieser Typ nicht, warum schreibt dieser Arsch nicht? Im Übrigen gab es ja auch noch das Telefon. Sie hatte ihm ihre Nummer gegeben, er hätte sie doch einfach anrufen können.
Er hatte ihr allerdings auch seine Nummer gegeben. Das heißt, sie hätte ihn ihrerseits anrufen können. Aber sie tat es nicht, obwohl sie einmal, nachdem sie sich mit einem Fläschchen Valpolicella aus dem Supermarkt Mut und Munterkeit angetrunken hatte, schon nahe daran war. Nein: Sie hatte ihren weiblichen Stolz.
2
Julia wohnte im zweiten Bezirk, da hatte sie es nicht weit in den Prater. Sie ging durch die Hauptallee, ein herbstlicher Wind blies. Kastanien prasselten von den Bäumen, sie hob ein paar besonders schön glänzende auf und steckte sie in die Jackentasche. Das wirkte angeblich gegen Rheumatismus, ein Leiden, an das sie damals noch keine Gedanken verschwendete, aber vielleicht brachte es auch Glück.
Sie dachte an Marco, aber da lief ihr Hans über den Weg. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er trug einen blauen Trainingsanzug. Während er mit ihr sprach, lief er noch eine Weile auf der Stelle weiter. Ja, so etwas, sagte er, so ein hübscher Zufall!
Weißt du, dass ich nicht ganz leicht über unsere Trennung hinweggekommen bin?, sagte er. Aber anderseits: Man tröstet sich. Und du? Wie geht’s dir? Was treibst du? Warst du im Süden? Du hast eine ausgesprochen schöne Farbe!
Diese Farbe hatte Julia nahtlos. Obwohl sie natürlich schon einigermaßen verblasste. Warst du am Meer?, fragte Hans. An einem FKK-Strand? Julia log ihm etwas von Jugoslawien vor – San Vito und der flache, heiße Stein im Fluss, auf dem sie mit Marco gelegen war, gingen ihn nichts an.
Nicht dass es ihr besondere Freude gemacht hätte, mit Hans zu schlafen. Obwohl die Initiative von ihr ausgegangen war. Das hatte ihn überrascht. Aber er hatte sich nicht lang bitten lassen. Seine Wohnung sei zwar nicht aufgeräumt, sagte er, aber das kenne sie ja von früher.
Es war ihr ganz einfach ein Bedürfnis gewesen. Ein Bedürfnis zu testen, ob sie nun total auf Marco fixiert sei. Nein, war sie nicht, immerhin, das war ein Ergebnis. Zwar hatte sich Hans nicht verändert, die Art, wie er auf ihr herumgeturnt war, war nicht besonders erregend gewesen, und ihr Orgasmus hatte recht wenig mit ihm zu tun gehabt, aber die physische Reaktion hatte geklappt.
War doch gut, oder? Mit seinen blonden, strähnigen Haaren und dem durchtrainierten Körper, der nun entspannt auf dem Bett lag, hatte er den Sexappeal eines Schilehrers.
Ja, sagte Julia. Sie stand auf und ging ins Badezimmer.
Sie brauchte das warme Wasser nur kurz, um sich zu reinigen, und duschte dann kalt. Ins Zimmer zurückgekehrt, begann sie sich anzuziehen.
Willst du nicht bleiben?, fragte Hans, der noch auf dem Bett lag. Er habe zwei Steaks im Kühlschrank, mit denen könnten sie sich stärken, und dann weitertun.
Nein, danke, sagte sie.
Schade, sagte er.
Sie knöpfte ihre Bluse zu.
Was machst du am Wochenende?, fragte er. Wir könnten miteinander auf den Schneeberg oder auf die Rax fahren.
Da war sie schon im Vorzimmer und zog ihre Schuhe an. Am Wochenende habe ich schon etwas anderes vor, sagte sie. Mach’s gut, sagte sie und schickte ihm einen unverbindlichen Kuss. Ich finde schon hinaus, sagte sie. Und dann war sie bereits auf dem Gang und schloss die Tür hinter sich.
Danach ging Julia nach Hause und fragte sich, ob sie nun zufrieden sein sollte. Und ob sie mit diesem Fick (sie scheute sich nicht, das in diesem Fall zutreffende Wort ganz nüchtern zu denken) wirklich nichts anderes im Sinn gehabt hatte, als sich selbst zu testen. War da
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