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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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sich mit ihm verbunden gefühlt, mit einer fast verzweifelten Innigkeit, unter dem Eindruck des bevorstehenden Abschieds, der vielleicht endgültigen Trennung. Und dann hatte sie Angst um ihn gehabt, und das war vielleicht ein erstes Zeichen von Liebe. Jedenfalls war damit klar: Er war ihr alles andere als gleichgültig. Und als sie zurückgekommen war, und er war noch da, im Mauerhaus, da war das Bedürfnis, ihn zu umarmen, ganz heftig und die Erleichterung darüber, dass er lebendig und heil vor ihr stand, groß, und dass sie danach zueinanderfanden, war einfach schön, ein erstaunlich selbstverständliches Zueinander- und Ineinanderfließen.
    Aber verliebt war sie nicht gewesen in ihn. Das kam erst jetzt, und das nahm von Tag zu Tag zu. Dass er ihr auf einmal so gut gefiel und dass ihr fast alles gefiel, was er tat und wie er es tat. Offenbar war es einfach so, dass er sich hier, genau in dieser Umgebung zwischen Wald und Fluss, erst so richtig entfaltete, befreit, auch, ja doch, von der Enge des Mauerhauses, so traut und schützend es gewesen war.
    Gewiss, er hatte einiges von den Fähigkeiten, die er jetzt anwandte, im Zuge seiner militärischen Ausbildung gelernt. Es war wichtig, dass ein Kampfflieger, selbst im Fall des Absturzes irgendwo in der Wildnis, das Know-how hatte, das ihm half zu überleben. Aber er hatte schon viel davon mitgebracht, dorthin, in das Camp irgendwo in Arizona oder Colorado, in dem man sie, seine Kameraden und ihn, für so etwas trainierte. Er hatte nie aufgehört, der Junge zu sein, der nicht nur gern Reisigzelte baut, sondern auch in die Gegend rundherum ausschwärmt, mit dem nach wie vor intakten Jäger- und Sammlerinstinkt des Menschen, der sich der Natur gegenüber bewähren will.
    Wie er aus dem Wenigen, das sie vorfanden, Vieles zu machen verstand. Wie er Schlingen knüpfte und Fallen schnitzte. Mit großem Geschick und einer Konzentration, durch die sich seine Gesichtszüge, die ihr anfangs etwas verschwommen und grob vorgekommen waren, sowohl zu schärfen als auch zu verfeinern schienen. Sie sah ihm gern zu bei diesen Tätigkeiten, sie bewunderte seinen bei aller zielgerichteten Sachlichkeit immer sorgfältigen, ja behutsamen Umgang mit den Dingen.
    Besonders gut gefiel er ihr, wenn er unten am Fluss auf den großen flachen Steinen lauerte, in deren Höhlungen sich Forellen verbargen. Manchmal sahen sie aus, als ob sie sich auf dem Kies, der durchs klare Wasser vergrößert wirkte, ausruhten, bevor sie sich wieder der Strömung überließen. Wie er da hockte, kniete oder lag, ein schöner Wilder mit nacktem Oberkörper, der mit Geduld und gespannter Aufmerksamkeit wartete, bis ein Fisch hervorkam. Und wie er dann mit raschem Griff zupackte und die in der Sonne glitzernde Beute aus dem Wasser zog!
    Zwar musste sie wegsehen, wenn er die Fische am Ufer gegen einen Baumstamm schlug. Und auch wenn er sie aufschnitt und ausnahm, schaute sie nicht gern hin. Aber wenn er die ausgenommenen Forellen dann wusch, an einer Stelle, an der die Wellen besonders klar und munter sprangen, bewegten sie sich, als wären sie noch lebendig. Da durften sie noch einmal (und zum letzten Mal) schön sein.
    Ihr gefiel das Spiel seiner Rückenmuskulatur und der Schwung seines Rückens, wenn er sich über den Fluss beugte. Ihr gefiel seine Silhouette, wenn die Sonne, bevor sie unterging, das Wasser noch blendend aufblitzen ließ. Ihr gefiel sein Gang, die Bewegung seiner kräftigen, aber geschmeidigen Beine, wenn er auf sie zukam, vom Flussufer zur Feuerstelle, diesem einfachen Kreis aus Steinen, den sie ein paar Meter entfernt vom Haus angelegt hatten, unter Berücksichtigung der Richtung, aus der für gewöhnlich der Wind blies. Und ihr gefiel sein Gesicht, verwegen bärtig inzwischen, aber trotzdem oder jetzt erst recht ein Bubengesicht, wenn es im Feuer, das er dann anfachte, aufleuchtete.
10
    Und ihm ging es ähnlich mit ihr. Sie gefiel ihm mit jedem Tag, den sie da draußen verbrachten, besser. Es mag schon sein, dass es eine Weile gedauert hatte, bis er sie als Frau wahrnahm. Anfangs, als sie ihm dort im Gewölbe des Mauerhauses gegenübergestanden war und ihn, die Lampe in der Hand, die Treppe hinaufgeführt hatte, war sie für ihn so etwas wie ein rettender Engel gewesen. Und Engel haben ja angeblich gar kein Geschlecht.
    Oben in ihrer Wohnung angekommen, bei etwas besseren Lichtverhältnissen, sah er sie dann wohl auch ein bisschen als graue Maus. Im schlichten Hauskleid, weit entfernt von ihrer

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