Mortimer & Miss Molly
hätten sie diesen Satz auch anders verstehen können, möglicherweise sogar ein bisschen esoterisch, aber ihre Assoziationen nahmen lieber eine andere Richtung.
Es war nicht nur Sex, keineswegs, es war Liebe mit allem, was dazugehört. Aber erfahrungsgemäß gibt es eine schöne Wechselwirkung zwischen Sex und Emotion. Zumindest in glücklichen Fällen. Das sagte Julia, die Psychologin. Und die Lovestory zwischen Molly und Mortimer war so ein glücklicher Fall – oder etwa nicht?
Jedenfalls war sie es vorläufig, unter diesen ganz besonderen Umständen. Den Umständen einer fast idealen Zweisamkeit. Sie lebten ja hier beinahe wie Adam und Eva. Sie hatten viel Zeit für die Liebe und hatten
einander
.
Schon wahr, es hätte im nächsten Moment damit aus sein können. Wenn ein Trupp deutscher Soldaten durchs Dickicht brechen würde, zum Beispiel. Oder wenn ein Flieger der Alliierten aus irgendeinem Grund nur ein klein wenig von seinem Kurs über der Via Cassia abwiche. Und da man nicht wissen konnte, was sich unter dem grün getarnten Dach da unten verbarg, würde er eine Bombe darauf fallen lassen.
War ihnen das bewusst? Oder blendeten sie solche Möglichkeiten einfach aus ... Vielleicht lag ja die Intensität, mit der sie diese Tage erlebten, gerade daran. Daran, dass es jederzeit aus sein konnte, sodass der jeweilige Augenblick eine ganz besondere Gegenwärtigkeit hatte. Das Bild, das stehenblieb, bevor der Film (möglicherweise abrupt) endete.
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Natürlich kam auch die Kamera wieder zum Einsatz. Allerdings setzte sie Marco nun gezielter ein. Filmte nicht mehr überall vor sich her, sondern konzentrierte sich auf das vom Blitz getroffene Haus und seinen Umkreis. Das Flussufer darunter, den Wald dahinter, die Hügel darüber.
So viel schien nun klar, dass sie dort das Ambiente gefunden hatten, in dem, nach dem Mauerhaus und dem
giardino
, die meisten Szenen des Films spielen würden. Zweifellos zentrale Szenen, auch wenn diese Szenen für sie vor wenigen Tagen noch nicht existiert hatten. Oder, falls sie doch schon existiert hatten, waren sie noch bloße Luftgebilde gewesen. Vage schwebende Ideen, denen die Bodenhaftung fehlte.
Jetzt hatten diese Szenen die zu ihnen passende Location.
Quasi un paradiso
, sagte Marco. Mit zwei Hauptdarstellern, einem Mann und einer Frau, ganz wie das echte Paradies. Bloß, dass Mortimer und Molly zum Unterschied von Adam und Eva nie über ihre Nacktheit erschraken.
Nein, da war kein Sündenfall und keine anschließende Scham. Sie sahen, dass es gut war. Und sie sahen, dass sie auf ihre Weise schön waren.
Ognuno a suo modo
. Jedes nach seiner Art. Er: ein junger Mann von etwas unter Mitte zwanzig. Sie: eine junge Frau von noch nicht ganz Mitte vierzig.
Zwei Kamerafahrten stell ich mir vor, sagte Marco. Eine preist seine Schönheit und eine andere die ihre. Er liegt auf dem Bauch, sagte Marco, und sie auf dem Rücken. Und der Blick der Kamera streichelt sie:
Mortimers Hinterkopf, Mortimers Nacken, Mortimers Rücken, Mortimers Hintern
Mortimers Oberschenkel und Mortimers Kniekehlen, Mortimers Waden und Mortimers Fersen
Mortimers Sohlen (sandig), Mortimers Zehen
Als würde Molly ihn sehen. In zärtlichem Licht
.
Mollys Haaransatz, Mollys Stirn, Mollys Nase und Mund, Mollys Kinn und Hals
Mollys Brüste, Mollys Bauch, Mollys Nabel, Mollys Venushügel
Mollys Oberschenkel, Mollys Knie, Mollys Unterschenkel, Mollys Zehen und Sohlen
Als würde Mortimer sie sehen. In Dankbarkeit und Liebe
.
Oder auch andersherum, sagte Julia:
Mortimers Stirn, Mortimers Nase, Mortimers Bart, Mortimers Hals
Mortimers Brust, Mortimers Bauch, Mortimers Nabel, Mortimers Schwanz
Mortimers Oberschenkel, Mortimers Knie, Mortimers Unterschenkel, Mortimers Zehen
Mortimers Sohlen (nach wie vor sandig), Mortimers Fersen.
Mollys Scheitel, Mollys Nacken, Mollys Rücken, Mollys Hintern
Mollys Oberschenkel und Mollys Kniekehlen, Mollys Waden und Mollys Fersen
Mollys Sohlen (sandig) und Mollys Zehen
Wie sie einander sehen. Mit täglich neuer Freude.
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Mollys erstaunliches Talent für die Liebe, fürs Liebesspiel. Da sie bis dahin keine Praxis auf diesem schönen Gebiet hatte, muss sie ein Naturtalent gewesen sein. Was Mortimer betraf, so hatte er diesbezüglich ein paar so genannte Erfahrungen. Aber diese Erfahrungen (die eines puritanisch erzogenen jungen Mannes) waren spärlich und ärmlich.
Ich könnte mir denken, sagte Marco, dass er ein wenig an jenem indianerblütigen Mädchen
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