Morton, Kate
Schloss zu erwerben und die Instandsetzung
in die Hand zu nehmen. Es schien, als hätten die Schwestern Blythe keine andere
Wahl, als in ein kleineres Haus zu ziehen, das Anwesen an Fremde zu verkaufen
oder es dem Trust zu überschreiben, damit dieser sich um »die Erhaltung der
prächtigen Gebäude und großartigen Gartenanlagen« kümmern konnte. Aber sie
taten nichts dergleichen. Stattdessen öffnete Percy Blythe das Schloss für
Besucher, verkaufte ein paar Hektar Ackerland und schaffte es irgendwie, genug
Geld zusammenzukratzen, um das alte Gebäude zu erhalten.
Das weiß
ich alles, weil ich mich ein sonniges Augustwochenende lang in der
Leihbücherei durch das auf Mikrofilm festgehaltene Archiv des Milderhurst Mercury gearbeitet habe. Im Nachhinein ist
mir eins klar: Als ich meinem Vater erzählte, dass die Entstehungsgeschichte
des Buchs Die wahre Geschichte vom Modermann ein bisher
ungelöstes literarisches Rätsel ist, war das etwa so, als hätte ich eine
Schachtel Pralinen vor ein Kleinkind hingestellt und erwartet, dass es sie
nicht anrührt. Mein Vater ist ein ergebnisorientierter Mensch, und ihm gefiel
die Idee, dass er möglicherweise ein Rätsel würde lösen können, das die
Akademiker seit Jahrzehnten beschäftigte. Er hatte auch schon eine Theorie:
Eine in dunkler Vergangenheit begangene Kindesentführung lag der Geschichte
zugrunde. Das musste er nur noch beweisen, und der Ruhm und die Ehre würden ihm
gehören. Allerdings kann ein Detektiv, der ans Bett gefesselt ist, nicht viel
ausrichten, und so musste ein Gehilfe angeheuert und an seiner Stelle ins Feld
geschickt werden. Und da kam ich ins Spiel. Ich ließ mich aus drei Gründen darauf
ein: Erstens, weil er sich von einem Herzinfarkt erholte, zweitens, weil seine
Theorie nicht ganz von der Hand zu weisen war, und drittens und vor allem, weil
ich, seit ich die Briefe meiner Mutter gelesen hatte, beinahe krankhaft fasziniert
war von Schloss Milderhurst.
Wie üblich
begann ich meine Nachforschungen, indem ich mich an Herbert wandte. Ich fragte
ihn, ob er irgendetwas über ungelöste Entführungsfälle aus der Zeit zu Anfang
des Jahrhunderts wisse. Eine Sache, die ich ganz besonders an Herbert schätze,
ist seine Fähigkeit, in einem scheinbaren Chaos genau die Information zu
finden, die er sucht. Sein Haus ist hoch und schmal, vier ehemalige einzelne
Wohnungen, die wieder zusammengelegt wurden: Unser Büro und die Druckmaschine
sind im Erdgeschoss und im ersten Stock untergebracht, der Dachboden dient als
Stauraum, und das Souterrain bewohnt Herbert zusammen mit Jess. An jeder Wand
in jedem Zimmer stehen Regale voller Bücher: alte Bücher und neue Bücher,
signierte Ausgaben und Korrekturexemplare, Erstauflagen und dreiundzwanzigste
Auflagen, und sie stehen und liegen wild durcheinander und scheren sich einen
Dreck darum, wie eine vorzeigbare Bibliothek auszusehen hat. Aber die
wichtigste Sammlung, Herberts persönliche Handbibliothek, befindet sich in
seinem Kopf und garantiert ihm direkten Zugriff auf alles, was er je in seinem
Leben gelesen hat. Mitzuerleben, wie er sich einem Ziel nähert, ist umwerfend:
Zuerst, nachdem er die Suchanfrage entgegengenommen hat, legt er die Stirn in
Falten, dann hebt er einen schlanken Finger, der so bleich und glatt ist wie
eine Kerze, und schlurft wortlos zu einer Bücherwand, wo er den Finger über
Buchrücken wandern lässt, als würde er von ihnen magnetisch angezogen, bis er
auf dem gesuchten Buch landet, das er dann aus dem Regal nimmt.
Herbert
auf Entführungsfälle anzusprechen war ein gewagter Versuch, und so wunderte es
mich auch nicht, als er nichts Brauchbares zutage förderte. Ich sagte ihm, er
solle sich nichts draus machen, und ging in die Bibliothek, wo ich mich im Kellergeschoss
mit einer reizenden alten Dame anfreundete, die anscheinend dort unten ihr
Leben lang auf den unwahrscheinlichen Zufall gewartet hatte, dass ich
auftauchen würde. »Tragen Sie sich einfach hier ein, meine Liebe«, sagte sie
eifrig, zeigte auf ein Klemmbrett mit Kugelschreiber und sah mir aufmerksam
zu, als ich das Formular ausfüllte. »Ah, Billing & Brown, wie interessant.
Ein lieber Freund von mir, möge er in Frieden ruhen, hat vor ungefähr dreißig
Jahren seine Memoiren bei B&B herausgebracht.«
Da es
außer mir nicht viele Leute gab, die diesen wunderbaren Sommertag im Keller
der Bibliothek verbrachten, hatte ich leichtes Spiel, Miss Yeats für meine
Zwecke einzuspannen. Wir verbrachten ein paar angenehme
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