Morton, Kate
Nichts Großes. Ich würde sehr gern bis
dahin bleiben, aber ich kann natürlich verstehen, wenn Sie ...« Jetzt hatte
auch Lucy Tränen in den Augen. »Es tut mir so leid, Miss Saffy, dass ich Ihnen
nicht eher Bescheid gesagt habe. Vor allem, wo es jetzt so schwierig ist,
Hausangestellte zu finden.«
»Unsinn«,
entgegnete Saffy. Sie fröstelte und spürte plötzlich einen kühlen Luftzug an
den feuchten Wangen. Als sie sich die Tränen mit einem Taschentuch abwischte,
bemerkte sie die schwarzen Flecken auf dem weißen Stoff. »Meine Güte«, sagte
sie und machte ein gespielt entsetztes Gesicht, »ich sehe bestimmt grässlich
aus.« Sie lächelte Lucy an. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Denk
einfach nicht mehr daran, und du hast wirklich keinen Grund zu weinen. Liebe
sollte gefeiert und nicht beweint werden.«
»Ja«,
sagte Lucy, die ganz und gar nicht aussah wie eine verliebte Frau. »Also
dann.«
»Also
dann.«
»Ich muss
mich auf den Weg machen.«
»Ja.«
Saffy mochte weder den Rauch noch den Geschmack von Tabak, aber in dem
Augenblick wünschte sie, sie würde rauchen. Dann hätte sie etwas, um ihre Hände
zu beschäftigen. Sie schluckte, richtete sich ein bisschen auf, versuchte wie
so häufig, Kraft zu schöpfen, indem sie so tat, als wäre sie Percy ...
O Gott,
Percy.
»Lucy?«
Die
Haushälterin hatte gerade die leeren Teetassen eingesammelt und drehte sich
um.
»Was ist
mit Percy? Weiß sie von dir und Harry? Dass du uns verlässt?«
Lucy
erbleichte und schüttelte den Kopf.
Saffy
spürte ein unbehagliches Gefühl in der Magengegend. »Vielleicht sollte ich ...
?«
»Nein«,
sagte Lucy mit einem schwachen, tapferen Lächeln. »Nein. Das muss ich selbst
tun.«
4
Percy fuhr
nicht nach Hause. Aber sie fuhr auch nicht zum Gemeindesaal, um beim Verteilen
von Corned-Beef-Konserven zu helfen. Später würde Saffy ihr vorhalten, sie habe
absichtlich vergessen, ein evakuiertes Kind abzuholen, sie habe von Anfang an
keins haben wollen. Der Vorwurf enthielt durchaus ein Körnchen Wahrheit, doch
in diesem Fall hatte die Sache weniger mit Saffy zu tun, dafür umso mehr mit
Mrs. Potts und ihrem unerträglichen Dorftratsch. Außerdem, so betonte Saffy
später ihrer Zwillingsschwester gegenüber, war doch am Ende alles gut gegangen:
Juniper, die unberechenbare, liebe Juniper, war zufällig am Gemeindesaal
vorbeigekommen und hatte Meredith mit ins Schloss genommen. Währenddessen war
Percy, nachdem sie wie benommen von dem Nähkränzchen geflohen war und dabei
ihr Fahrrad vergessen hatte, zu Fuß die High Street entlanggegangen, mit wild
entschlossenem Blick, als habe sie eine Liste mit hundert Aufträgen, die bis
zum Abendessen erledigt sein mussten. Nichts deutete darauf hin, dass sie
zutiefst verletzt, dass sie nur noch ein geisterhafter Schatten ihrer selbst
war. Wie sie in den Friseursalon gelangt war, würde ihr immer ein Rätsel
bleiben, aber genau dorthin hatten ihre tauben Füße sie getragen.
Percys
Haar war immer lang und blond gewesen, aber nie so lang wie Junipers und nie so
golden wie Saffys. Weder das eine noch das andere hatte Percy je etwas
ausgemacht, sie war nicht der Typ Frau, der großen Wert auf Kopfputz legte.
Während Saffy ihr Haar aus Eitelkeit lang trug und Juniper das ihre aus
Nachlässigkeit, ließ Percy sich das Haar lang wachsen, weil ihr Vater es so
mochte. Er fand, dass Mädchen und Frauen hübsch sein sollten, dass seine
Töchter langes Haar haben sollten, das ihnen in Wellen über den Rücken fiel.
Percy wand
sich innerlich, als die Friseurin ihr Haar mit Wasser besprühte und es
auskämmte, bis es schlaff und dunkel herunterhing. Metallene Klingen flüsterten
kühl in ihrem Nacken, dann fiel die erste Strähne zu Boden, wo sie wie etwas
Totes liegen blieb. Percy fühlte sich leicht.
Die
Friseurin war schockiert gewesen, als Percy ihr Ansinnen vortrug, und hatte sie
mehrmals gefragt, ob sie sich auch ganz sicher sei. »Aber Sie haben so schöne
Locken«, sagte sie traurig. »Soll ich sie wirklich abschneiden?«
»Alle.«
»Aber Sie
werden sich selbst nicht wiedererkennen.«
Genau,
dachte Percy, und der Gedanke gefiel ihr. Während sie in dem Friseurstuhl saß,
immer noch wie in einem Traum, hatte Percy ihr Spiegelbild betrachtet und sich
einen Moment der Innenschau erlaubt. Was sie sah, beunruhigte sie. Eine Frau
mittleren Alters, die immer noch abends ihr Haar um Stoffstreifen drehte, um
die mädchenhaften Locken zu erhalten, die die Natur längst
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