Morton, Kate
Stunden miteinander,
durchforsteten die Archive und fanden tatsächlich drei ungelöste
Entführungsfälle während der viktorianischen und edwardianischen Zeit in und um
Kent sowie eine Menge Zeitungsberichte über die Familie Blythe von Schloss
Milderhurst. Aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren gab es eine nette Kolumne
mit Haushaltstipps, verfasst von Saffy Blythe, zahlreiche Artikel über Raymond
Blythes literarische Erfolge und einige Leitartikel, in denen darüber
berichtet wurde, wie die Familie das Schloss im Jahr 1952 beinahe verloren hätte. Damals war Percy Blythe interviewt
worden und hatte emphatisch erklärt: Ein Anwesen ist
mehr als die Summe seiner Teile; es ist ein Hort der Erinnerungen, ein Archiv
all dessen, was sich in ihm abgespielt hat. Das Schloss gehört meiner Familie,
und das bereits seit Jahrhunderten, und ich werde nicht zulassen, dass es in
die Hände von Leuten fällt, die zwischen seine uralten Bäume Koniferen pflanzen
wollen.
Begleitend
zu dem Artikel war ein ziemlich pedantischer Vertreter des National Trust
interviewt worden, der bedauerte, dass seiner Organisation keine Gelegenheit
gegeben wurde, das Anwesen im Rahmen des neuen Landschaftsgartenprojekts zu
restaurieren und ihm seine ehemalige Pracht zurückzugeben: Es ist eine Tragödie, sagte er, dass einige der prächtigsten Anwesen unseres Landes in den kommenden
Jahrzehnten verloren gehen werden, nur weil einige wenige nicht einsehen
wollen, dass es in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine Sünde ist, als
privaten Wohnsitz zu nutzen, was im Grunde nationales Erbe ist. Auf die
Frage, welche Pläne die Treuhandgesellschaft für Milderhurst vorgesehen habe,
zählte er diverse Maßnahmen auf, darunter die Grundsanierung des Schlosses selbst und die komplette Wiederherstellung
der Gartenanlagen. Pläne, so schien es mir, die
ziemlich genau dem entsprachen, was Percy Blythe sich für ihr Anwesen gewünscht
hätte.
»Damals
war die Arbeit des National Trust sehr umstritten«, sagte Miss Yeats, als ich
meinen Gedanken laut äußerte. »Die Fünfzigerjahre waren eine schwierige Zeit:
In Hidcote hat man die Kirschbäume abgeholzt und in Wimpole die Alleenbäume
gefällt, und das alles, um vermeintliche historische Standards
wiederherzustellen.«
Die beiden
Beispiele sagten mir nichts, aber irgendwelche Standards zu erfüllen, das klang
schon weniger nach der Percy Blythe, die ich kennengelernt hatte. Als ich
weiterlas, wurde mir die Sachlage allmählich klarer. »Hier steht, der Trust
wollte den Schlossgraben wieder herrichten.« Ich schaute Miss Yeats an, die den
Kopf schief gelegt hatte und auf eine Erklärung wartete. »Raymond Blythe hat
den Graben nach dem Tod der Mutter der Zwillinge zuschütten lassen, als eine
Art Gedenkstätte. Ich glaube nicht, dass die Schwestern es begrüßt hätten,
wenn der Trust den Graben wieder ausgehoben hätte.« Ich lehnte mich in meinem
Stuhl zurück und streckte mich. »Allerdings verstehe ich nicht, wieso sie so
verarmt waren. Der Modermann ist ein
Klassiker, er war ein Bestseller und verkauft sich heute noch. Die Tantiemen
müssten doch eigentlich ausgereicht haben, um ihnen ein bequemes Leben zu
ermöglichen, oder?«
»Tja, das
sollte man meinen«, sagte Miss Yeats. Dann betrachtete sie stirnrunzelnd einen
Stapel Computerausdrucke, der vor uns auf dem Tisch lag. »Wissen Sie, ich bin
mir ziemlich sicher, dass ich ...« Sie ging die Ausdrucke durch, zog
schließlich einen heraus und hielt ihn sich dicht vor die Nase. »Ah ja! Hier
ist es ...« Sie reichte mir einen Zeitungsartikel vom 13. Mai 1941 und
schaute mich über ihre Lesebrille hinweg an. »Offenbar hat Raymond Blythe nach
seinem Tod beträchtliche Vermächtnisse hinterlassen.«
Der
Artikel war überschrieben mit »Großzügige Spende von Schriftsteller rettet
Institut« und zeigte das Foto von einer strahlenden, mit einer Latzhose bekleideten
Frau, die eine Ausgabe des Modermann in Händen
hält. Ich überflog den Text. Miss Yeats hatte recht: Der Großteil der Tantiemen
wurde nach Raymond Blythes Tod zwischen der katholischen Kirche und einem
Verein aufgeteilt. »Das Pembroke-Farm-Institut«, las ich langsam vor. »Hier
steht, dass es sich um einen Naturschutzverein mit Sitz in Sussex handelt, der
sich die Förderung einer gesunden, ökologischen Lebensweise zum Ziel gesetzt
hat.«
»Die waren
ihrer Zeit ziemlich weit voraus«, bemerkte Miss Yeats.
Ich
nickte.
»Sollen
wir mal oben im Register nachsehen? Vielleicht
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