Morton, Kate
und sah auf sein Klemmbrett. »Dann kann ich also vermerken,
dass es dir gut geht? Alles in bester Ordnung?« »Na klar.«
»Und deine
Mum und dein Dad fehlen dir auch nicht zu sehr?«
»Ich
schreibe ihnen Briefe«, sagte Meredith. »Ich weiß, wo die Poststelle ist, und
ich habe ihnen schon die Postkarte mit meiner neuen Adresse geschickt. Die
nächste Schule ist in Tenterden, aber da fährt ein Bus hin.«
»Dein
Bruder und deine Schwester sind auch in der Nähe des Dorfs untergebracht, nicht
wahr?« Meredith nickte.
Er
tätschelte ihr den Kopf, ihr Haar war von der Sonne gewärmt. »Ich denke, du
bist hier sehr gut aufgehoben, Kleine.« »Mr. Cavill?« »Ja?«
»Sie
sollten mal die Bücher drinnen sehen. In einem Zimmer stehen an allen Wänden
Regale, die sind vom Boden bis zur Decke voll mit Büchern.«
Er
lächelte breit. »Na, das freut mich aber für dich!«
»Mich
auch.« Sie deutete mit einer Kinnbewegung zu dem Mädchen im Wasser. »Juniper
hat gesagt, ich darf alle lesen, die ich will.«
Juniper.
Sie hieß also Juniper.
»Die Frau
in Weiß habe ich schon
zu drei Vierteln durch, und dann lese ich Sturmhöhe.«
»Kommst du
auch ins Wasser, Merry?« Juniper winkte Meredith zu. »Es ist wunderbar. Warm.
Perfekt. Blau.«
Seine
Worte aus ihrem Mund zu hören ließ Tom erschaudern. Meredith, die neben ihm
stand, schüttelte den Kopf, als hätte sie die Frage überrascht. »Ich kann nicht
schwimmen.«
Juniper
stieg aus dem Wasser und zog sich das weiße Kleid über, das an ihren nassen
Beinen kleben blieb. »Daran werden wir etwas ändern müssen, solange du hier
bist.« Sie band ihr nasses Haar achtlos zu einem Pferdeschwanz und warf ihn
sich über die Schulter. »Sonst noch etwas?«, fragte sie Tom.
»Tja, ich
dachte, ich könnte ...« Er atmete aus, fasste sich und begann noch einmal:
»Vielleicht sollte ich mit zum Haus kommen, um die anderen Familienmitglieder
kennenzulernen?«
»Nein«,
antwortete Juniper, ohne mit der Wimper zu zucken. »Das ist keine gute Idee.«
Er fühlte
sich brüskiert.
»Meine
Schwester hat etwas gegen Fremde, vor allem, wenn es Männer sind.«
»Aber ich
bin doch kein Fremder. Stimmt's, Merry?«
Meredith
lächelte, Juniper nicht. Sie sagte: »Nehmen Sie's nicht persönlich. Es ist
einfach ihre Art.«
»Verstehe.«
Sie stand
dicht vor ihm, Wassertropfen liefen ihr in die Wimpern, als ihre Blicke sich
begegneten. Er las kein Interesse in ihren Augen, und doch wurde sein Puls
schneller. »Tja, dann«, sagte sie.
»Tja,
dann.«
»War's
das?«
»Das
war's.«
Sie hob
das Kinn, musterte ihn einen Moment lang. Ein knappes Nicken, und damit war ihr
Gespräch beendet.
»Auf
Wiedersehen, Mr. Cavill«, sagte Meredith.
Er
schüttelte ihr lächelnd die Hand. »Auf Wiedersehen, Kleine. Pass auf dich auf.
Und schreib schön fleißig.«
Er schaute
den beiden nach, als sie durch den Park zum Schloss gingen. Langes, blondes
Haar, das zum Zopf gebunden über ihren Rücken fiel, Schulterblätter wie zwei zu
klein geratene Flügel. Sie legte Meredith einen Arm um die Schultern und zog
sie an sich, dann verlor er sie aus den Augen, meinte jedoch, ihr helles
Lachen zu hören.
Mehr als
ein Jahr sollte vergehen, bis er sie wiedersah, bis sie sich per Zufall in
einer Straße in London wiederbegegneten. Er würde sich verändert haben, würde
ein anderer Mensch sein, stiller, unsicherer, gezeichnet wie die Stadt um ihn
herum. Er würde Frankreich überlebt haben, sich mit seinem verwundeten Bein
nach Bray-Dunes geschleppt haben, aus Dünkirchen evakuiert worden sein; er
würde erlebt haben, wie Freunde in seinen Armen starben, er würde die Ruhr
überlebt haben, und er würde wissen, dass John Keats zwar recht damit hatte,
dass Erfahrung Wahrheit bedeutet, aber dass es Dinge gab, die man nicht aus
erster Hand wissen musste.
Und der
neue Thomas Cavill würde sich in Juniper Blythe verlieben, würde hingerissen
sein von ebenjenen Eigenarten, die ihn an dem Nachmittag am Teich so verstört
hatten. In einer Welt, die in Asche und Trauer versank, würde sie ihm wie ein
Wunder erscheinen. Unversehrt von der Wirklichkeit würde sie ihn auf einen
Schlag von seinen Wunden heilen. Er würde sie mit einer Leidenschaft lieben,
die ihn ängstigte und zugleich wieder aufblühen ließ, mit einer Verzweiflung,
die seinen braven Zukunftsträumen Hohn sprach.
Aber
damals wusste er das alles noch nicht. Er wusste nur, dass er jetzt alle
Schüler auf seiner Liste besucht hatte. Dass Meredith Baker gut
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