Morton, Kate
aufgehoben
war, dass sie sich wohlfühlte und sich in guten Händen befand, dass er zurück
nach London fahren und sich wieder seinem Leben, seiner Zukunft widmen konnte.
Und obwohl er noch nicht trocken war, knöpfte er sein Hemd zu, setzte sich hin,
um seine Schnürsenkel zu binden, und pfiff ein Lied vor sich hin, als er den
Teich verließ, in dem die Wasserlilien immer noch auf den Wellen schaukelten,
die sie hinterlassen hatte, dieses seltsame Mädchen mit den überirdischen
Augen. Er ging den Hügel hinunter, an dem seichten Bach entlang, der ihn zur
Straße führte, fort von Juniper Blythe und Schloss Milderhurst, die er beide -
so glaubte er - nie wiedersehen würde.
2
Nichts
würde je wieder so sein wie vorher. Wie sollte es auch? Nichts in den tausend
Büchern, die sie gelesen hatte, nichts, was sie sich vorgestellt oder geträumt
oder geschrieben hatte, hätte Juniper Blythe auf die Begegnung am Teich mit
Tom Cavill vorbereiten können. Als sie auf die Lichtung getreten war und ihn
dort im Wasser gesehen hatte, dachte sie zuerst, die Gestalt sei ein Produkt
ihrer Fantasie. Es war schon eine Weile her, seit sie ihren letzten »Besucher«
gehabt hatte, und kein Pochen in ihrem Kopf, kein Meeresrauschen in ihren Ohren
hatte sie vorgewarnt. Aber ein bestimmter Lichteinfall, ein künstliches
Glitzern in der Luft, das ihr vertraut vorkam, hatte die Szenerie unwirklicher
erscheinen lassen als die, aus der sie gerade gekommen war. Sie hatte in die
Baumkronen hinaufgeschaut, und als die Blätter an den höchsten Zweigen sich im
Wind bewegten, war es, als würde Goldstaub auf die Erde rieseln.
Sie hatte
sich auf die Schaukel gesetzt, weil sie sich da am sichersten fühlte, wenn sie
einen Besucher hatte. Still hinsetzen, etwas fest in den
Händen halten, warten, bis es vorbei ist. So lauteten
die drei goldenen Regeln, die Saffy aufgestellt hatte, als Juniper noch klein
war. Sie hatte Juniper auf den Küchentisch gehoben, um ihr aufgeschlagenes Knie
zu verarzten, und ihr erklärt, die Besucher seien zwar ein Geschenk, wie Daddy
gesagt hatte, aber sie müsse trotzdem vorsichtig sein.
»Aber ich
spiele so gern mit ihnen«, hatte Juniper geantwortet. »Sie sind meine Freunde.
Und sie erzählen mir spannende Sachen.«
»Das weiß
ich, Liebes, und das ist ganz wunderbar. Aber vergiss nicht, dass du keine von
ihnen bist. Du bist ein kleines Mädchen mit Haut, unter der Blut fließt, mit
Knochen, die brechen können, und du hast zwei Schwestern, die es gern sehen
würden, dass du erwachsen wirst.«
»Und einen
Daddy.«
»Natürlich.
Und einen Daddy.«
»Aber
keine Mutter.«
»Nein.«
»Aber
einen kleinen Hund.«
»Ja,
Emerson.«
»Und ein
Pflaster am Knie.«
Da hatte
Saffy gelacht, sie an ihre Brust gedrückt, die nach Talkum-Puder und Jasmin und
Tinte duftete, und sie wieder auf den Tisch gesetzt. Und Juniper hatte höllisch
aufgepasst, nicht zu der Gestalt am Fenster hinüberzuschauen, die sie nach
draußen zum Spielen lockte.
Juniper
wusste nicht, woher die Besucher kamen. Sie wusste nur, dass ihre ersten
Erinnerungen Gestalten waren, die im Sonnenlicht um ihr Kinderbettchen
herumtanzten. Mit drei Jahren hatte sie begriffen, dass andere ihre Besucher
nicht sehen konnten. Man hatte sie als verträumt und verrückt bezeichnet, als
schelmisch und fantasievoll. Sie hatte zahllose Kinderfrauen vertrieben, die
keine imaginären Freunde duldeten. »Aber ich bilde mir sie nicht ein«, hatte
Juniper immer wieder protestiert und sich bemüht, so vernünftig wie möglich zu
klingen, aber offenbar gab es keine englische Kinderfrau, die ihr das glaubte.
Eine nach der anderen hatten sie ihre Sachen gepackt und ein Gespräch mit Daddy verlangt. In ihrem Versteck, in
den Adern des Schlosses, dem kleinen Winkel bei der Lücke in der Mauer, hatte
Juniper immer neue Wörter gehört, mit denen sie beschrieben wurde: »Sie ist
ungezogen.« Oder: »Sie ist aufsässig.« Und einmal sogar: »Sie ist besessen!«
Alle
hatten ihre eigene Theorie über die Besucher. Doktor Finley hielt sie für
»einen lebhaften Ausdruck der Sehnsucht und kindlichen Neugier«, was
irgendetwas mit ihrem Herzfehler zu tun hatte. Doktor Heinstein war der
Meinung, sie seien Symptome einer Psychose, und hatte ihr alle möglichen Pillen
verschrieben, die dem Spuk ein Ende setzen sollten. Daddy sagte, es seien die
Stimmen ihrer Vorfahren, und sie sei auserwählt, sie zu hören. Saffy bestand
darauf, dass ihre kleine Schwester vollkommen in
Weitere Kostenlose Bücher