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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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solchen Einladung rechnen konnte. Sie war gerade
von etwas abgelenkt, sodass er sie einen Moment lang beobachten konnte. Dieses
junge Mädchen war wirklich verblüffend: Sie schien überhaupt kein Auge für ihn
zu haben, keinerlei Gespür für seinen Charme. Neben ihr kam er sich gewöhnlich
vor, und das war er ganz und gar nicht gewohnt. Aber aus der Distanz und
nachdem er seine Fassung einigermaßen wiedergewonnen hatte, gelang es ihm,
seine Eitelkeiten zu überwinden und sich Gedanken darüber zu machen, wer sie
war. Die eilfertige Frau beim Freiwilligen Frauendienst hatte ihm erklärt, das
Schloss gehöre einem gewissen Raymond Blythe, einem Schriftsteller {»Die
wahre Geschichte vom Modermann — das haben Sie doch bestimmt gelesen!«),
der alt und krank war, aber Meredith sei bei seinen Töchtern in guten Händen.
Es seien unverheiratete Zwillingsschwestern und genau die Richtigen, um sich
um ein armes, heimatloses Kind zu kümmern. Die Frau hatte keinen weiteren
Bewohner des Schlosses erwähnt, und so war er davon ausgegangen, falls er sich
überhaupt Gedanken darüber gemacht hatte, dass Mr. Blythe und die beiden alten
Jungfern die Einzigen waren, die im Schloss lebten. Auf keinen Fall hatte er
mit diesem Mädchen gerechnet, dieser jungen, undurchschaubaren Person, die
keinesfalls eine alte Jungfer war. Er hätte nicht sagen können, warum, aber
auf einmal schien es ihm ungeheuer wichtig, mehr über sie zu erfahren.
    Sie
planschte im Wasser, und er wandte sich ab, schüttelte den Kopf über seine
törichten Gedanken. Tom kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass sein
Interesse an ihr umso größer wurde, je weniger sie sich für ihn interessierte.
Schon als Junge hatte er dazu geneigt, stets genau das haben zu wollen, was er
unter keinen Umständen haben konnte. Er musste sich von ihr losreißen. Sie war
noch fast ein Kind. Und dazu ganz offensichtlich ziemlich exzentrisch.
    Plötzlich
hörte er ein Rascheln, und im nächsten Augenblick kam ein honigblonder Labrador
mit hängender Zunge durchs Gestrüpp gesprungen, gefolgt von Meredith mit einem
strahlenden Lächeln, das ihm alles sagte, was er über ihr Befinden wissen
musste. Tom freute sich so sehr, sie zu sehen, dieses ganz normale Mädchen mit
Brille, dass er sie anlächelte und aufsprang und beinahe gestolpert wäre, als
er auf sie zulief, um sie zu begrüßen. »Guten Tag, Kleine. Wie geht's?«
    Sie blieb
wie angewurzelt stehen und blinzelte ihn an, völlig verdutzt, ihn in so
ungewohnter Umgebung anzutreffen. Während der Hund um sie herumstrich, lief
sie rot an, trat von einem Fuß auf den anderen und sagte: »Guten Tag, Mr.
Cavill.«
    »Ich bin
gekommen, um mich zu erkundigen, wie es dir geht.«
    »Es geht
mir gut, Mr. Cavill. Ich wohne in einem Schloss.«
    Er
lächelte. Sie war ein reizendes Mädchen, zwar etwas ängstlich, aber klug. Ein
helles Köpfchen und eine gute Beobachterin, hatte einen Blick fürs Detail und
machte oft überraschende und originelle Beobachtungen. Leider hatte sie nur
wenig Selbstvertrauen, und es war nicht schwer zu erraten, woran das lag: Ihre
Eltern hatten ihn angesehen, als sei er übergeschnappt, als er vor zwei Jahren
vorgeschlagen hatte, sie den Eignungstest für die Oberschule machen zu lassen.
Aber Tom arbeitete weiterhin daran. »Ein Schloss! Du hast vielleicht ein
Glück! Ich glaube, ich war noch nie in einem Schloss.«
    »Es ist
sehr groß und sehr düster, und es riecht komisch nach Schlamm, und es gibt jede
Menge Treppen.«
    »Hast du
die schon alle erkundet?«
    »Einige,
aber noch nicht die, die in den Turm führt.«
    »Nicht?«
    »Da darf
ich nicht rauf. Da arbeitet Mr. Blythe. Er ist ein echter Schriftsteller.«
    »Ein
echter Schriftsteller. Vielleicht gibt er dir ja ein paar Tipps, wenn du Glück
hast.« Tom tätschelte ihr die Schulter.
    Sie
lächelte, schüchtern, aber erfreut. »Vielleicht.«
    »Schreibst
du immer noch dein Tagebuch?«
    »Jeden
Tag. Es gibt viel zu schreiben.« Sie schaute verstohlen zum Teich hinüber, und
Tom folgte ihrem Blick. Die langen Beine des Mädchens, das sich immer noch am
Rand festhielt, bewegten sich unter der Wasseroberfläche. Ihm fiel überraschend
ein Dostojewski-Zitat ein: »Die Schönheit ist eine furchterregende und
geheimnisvolle Sache.« Tom räusperte sich. »Gut«, sagte er. »Das ist gut. Je
mehr du übst, umso besser wirst du. Gib dich nicht mit dem Mittelmäßigen
zufrieden, wenn du es besser machen kannst.«
    »Mach ich
nicht.«
    Er
lächelte sie an

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