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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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Dorf zu gehen. Sie fuhr nur
selten Auto, aber sie war mit dem großen, alten Daimler bis in die High Street
gefahren. Wie in einem Traum, wie eine Figur in einer Geschichte von jemand
anderem hatte sie den Wagen geparkt und war in den Gemeindesaal gegangen. Eine
Frau hatte sie angesprochen, aber da hatte Juniper Meredith bereits entdeckt.
    Als Saffy
sie später fragte, nach welchen Kriterien sie das Kind ausgesucht hatte, sagte
Juniper: »Ich habe sie nicht ausgesucht.«
    »Ich
widerspreche dir ja nur ungern, Kleines, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass
du sie mit hergebracht hast.«
    »Ja,
natürlich, aber ich habe sie nicht ausgesucht. Ich
wusste, dass sie es war.«
    Juniper
hatte noch nie eine Freundin gehabt. Andere Leute, Daddys aufgeblasene Freunde,
Schlossbesucher, sie nahmen alle viel mehr Raum ein, als ihnen zustand. Sie
erdrückten einen mit ihrer Prahlerei und ihrem Gehabe und ihrem unablässigen
Gerede. Aber Meredith war anders. Sie war lustig, und sie hatte ihre eigene
Meinung. Sie war eine Leseratte, obwohl es bei ihr zu Hause kaum Bücher gab,
sie besaß eine hervorragende Beobachtungsgabe, aber ihre Gedanken und Gefühle
waren nicht beeinflusst von dem, was sie gelesen hatte, was andere geschrieben
hatten. Sie hatte eine ganz eigene Weltsicht und eine Art, sich auszudrücken,
die Juniper immer wieder verblüffte und zum Lachen brachte und dazu anregte,
noch einmal nachzudenken und die Dinge in einem neuen Licht zu sehen.
    Aber das
Beste war, dass Meredith jede Menge Geschichten aus der Außenwelt mitgebracht
hatte. Seit sie da war, hatte der Stoff, aus dem Milderhurst war, einen feinen
Riss bekommen. Ein winziges, helles Fenster, an das Juniper ein Auge legen und
nach draußen spähen konnte.
     
    Und was
hatte Meredith jetzt bewirkt? Ein Mann, ein richtiger Mann aus Fleisch und Blut
war aufs Schloss gekommen. Ein junger Mann aus der Außenwelt, der wirklichen
Welt, war am Badeteich aufgetaucht. Licht von der Außenwelt schien durch den
Schleier, heller, nachdem ein zweites Loch aufgerissen war, und Juniper bekam
mehr zu sehen.
    Er wäre
gern geblieben, hätte sie gern ins Schloss begleitet, aber Juniper hatte
abgelehnt. Das Schloss war der falsche Ort. Sie wollte ihn beobachten, ihn wie
eine Katze belauern - aufmerksam, geduldig, unbemerkt, während sie an seiner
Haut vorbeistreifte. Wenn sie das nicht haben konnte, wollte sie lieber gar
nichts haben. So würde er ein stiller, von Sonnenlicht erfüllter Augenblick
bleiben, eine Brise, die ihre Wangen liebkoste, während die Schaukel über dem
warmen Teich vor und zurück schwang, ein neues Ziehen tief unten in ihrem
Bauch.
    Er war
gegangen. Und sie waren geblieben. Sie hatte Meredith einen Arm um die
Schultern gelegt, und sie waren lachend den Hügel hinaufgelaufen, hatten sich
darüber amüsiert, dass Saffy es jedes Mal schaffte, einen mit ihren Stecknadeln
in die Haut zu stechen, waren an dem alten Brunnen, der nicht mehr
funktionierte, kurz stehen geblieben, um das unbewegte, grüne Wasser zu
betrachten, die Libellen, die ruckartig darüber hinwegflogen. Aber die ganze
Zeit waren ihre Gedanken dem Mann gefolgt, hatten sich an ihn geheftet wie ein
Spinnfaden, als er zur Straße hinuntergegangen war.
    Juniper
war weitergegangen, schneller jetzt. Es war heiß, so heiß, dass ihr Haar schon
fast trocken war und ihr an den Wangen klebte. Ihre Haut fühlte sich fester an
als sonst. Sie war seltsam aufgewühlt. Ob Meredith hören konnte, wie ihr Herz
gegen ihre Rippen pochte?
    »Ich habe
eine großartige Idee«, sagte sie. »Hast du dich jemals gefragt, wie es in
Frankreich aussieht?«
    Dann nahm
sie ihre kleine Freundin an der Hand, und gemeinsam rannten sie die Stufen
hinauf, durch das Dornengestrüpp, zwischen Bäumen hindurch, die mit ihren
Kronen ein grünes Dach bildeten. Vergänglich — das Wort
kam ihr in den Sinn, und plötzlich fühlte sie sich leichter, wie ein Reh.
Schneller, schneller liefen sie, lachten ausgelassen, und der Wind zerrte an
Junipers Haaren, und ihre Füße frohlockten bei der Berührung mit der heißen,
harten Erde, und die Freude rannte mit ihr. Endlich erreichten sie den
Säulengang, stolperten die Treppe hoch, keuchend, durch die offenen Glastüren
in die kühle Stille der Bibliothek. »June? Bist du das?«
    Das war
Saffy. Sie saß an ihrem Schreibtisch. Die liebe Saffy schaute von ihrer
Schreibmaschine auf, wie sie es immer tat, ein bisschen verwirrt, als wäre sie
gerade aus einem Traum voller Rosenblätter und

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