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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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Meine Mutter
suchte wie verrückt, während ich beteuerte, es sei mir ein Rätsel, aber es blieb
spurlos verschwunden, es befand sich auch nicht in dem Chaos unter meinem
Bett, wo sich sonst fast alles fand, was vermisst wurde. Nachdem wir alle
Ecken und Winkel ergebnislos durchstöbert hatten, wurde ich zur Bücherei
abgeführt, um mein Geständnis abzulegen. Meine arme Mutter erntete einen
vernichtenden Blick von Miss Perry und wäre vor Scham fast gestorben, aber ich
war zu sehr erfüllt von dem köstlichen Gefühl des Besitzes, um Schuld zu
empfinden. Es war der erste und einzige Diebstahl, den ich je begangen habe,
aber daran ließ sich nichts ändern; das Buch und ich gehörten einfach
zusammen.
     
    Mrs. Birds
Telefonhörer landete mit einem lauten Knall auf der Gabel, und ich zuckte
zusammen. Aus ihrem Gesichtsausdruck schloss ich, dass sie schlechte
Nachrichten für mich hatte. Ich stand auf und humpelte zum Tresen - mein linker
Fuß war eingeschlafen.
    »Eine der
Schwestern ist leider nicht wohlauf«, sagte Mrs. Bird. »Ach?«
    »Die
jüngste, sie hat einen Rückfall erlitten, der Arzt ist unterwegs, um nach ihr
zu sehen.«
    Ich
bemühte mich, mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Es gehörte sich
nicht, ungehalten zu reagieren, wenn eine alte Dame erkrankt war. »Wie
bedauerlich. Es ist hoffentlich nichts Ernstes.«
    Mrs. Bird
wischte meine Bedenken fort wie eine harmlose, wenn auch lästige Fliege. »Es
geht ihr bestimmt bald wieder gut. Das ist nicht das erste Mal. Sie hat diese Anfälle
seit ihrer Kindheit.«
    »Anfälle?«
    »Verlorene
Zeit, so hat man das damals genannt. Zeit, an die sie sich nicht erinnern
konnte, meistens, wenn sie sich sehr aufgeregt hat. Es hat etwas mit dem
Herzrhythmus zu tun - zu schnell, zu langsam, genau weiß ich es nicht mehr,
aber sie wird ohnmächtig und kann sich hinterher nicht mehr erinnern, was sie
getan hat.« Noch etwas schien ihr auf der Zunge zu liegen, doch sie presste die
Lippen zusammen und sprach es nicht aus. »Ihre älteren Schwestern werden heute
alle Hände voll zu tun haben und wollen nicht gestört werden, aber sie möchten
Sie nur ungern abweisen. Das Haus braucht Besucher, sagen sie. Sind schon
sonderbar, die beiden. Denn normalerweise sind sie nicht gerade erpicht auf
Besuch. Aber wahrscheinlich wird es wohl doch ziemlich eintönig, wenn sie immer
nur allein dort herumgeistern. Sie schlagen stattdessen morgen am späten Vormittag
vor.«
    Ein Anflug
von Unruhe überkam mich. Ich hatte eigentlich nicht vor, über Nacht zu bleiben,
aber der Gedanke, wieder abzufahren, ohne das Schloss von innen gesehen zu
haben, machte mich plötzlich kreuzunglücklich. Vor Enttäuschung hatte ich
einen Kloß im Hals.
    »Wir haben
ein Zimmer frei, wenn Sie möchten«, sagte Mrs. Bird. »Das Abendessen ist im
Preis inbegriffen.«
    Ich musste
am Wochenende einiges aufarbeiten, Herbert brauchte sein Auto, um am nächsten
Nachmittag nach Windsor zu fahren, und ich gehöre nicht zu den Menschen, die
sich aus einer Laune heraus entschließen, an einem fremden Ort zu übernachten.
     
    Raymond Blythe in Milderhurst
    Während Mrs.
Bird die Formalitäten erledigt und die Angaben von meiner Visitenkarte
abschrieb, entfernte ich mich, ein paar Floskeln murmelnd, und ging zur Hintertür,
um einen Blick nach draußen zu werfen. Das Haus und einige Nebengebäude
umschlossen einen Hof: eine Scheune, ein Taubenhaus und ein Bau mit einem
konischen Dach, von dem ich später erfuhr, dass es sich um ein Malzhaus
handelte. In der Mitte befand sich ein runder Teich. Die beiden großen Gänse
glitten majestätisch über das von der Sonne gewärmte Wasser, während die
kleinen Wellen, die sie machten, einander zu den mächtigen Ufersteinen jagten.
Auf der anderen Seite inspizierte ein Pfau den Rand eines sauber getrimmten
Rasens, hinter dem sich eine von Wildblumen gesprenkelte Wiese bis zu einer in
der Ferne sichtbaren Gartenlandschaft erstreckte. Eingerahmt von der Tür, in
der ich stand, wirkte die sonnenbeschienene Landschaft wie ein Schnappschuss
von einem längst vergangenen Frühlingstag, der wieder zum Leben erwacht war.
    »Großartig,
nicht wahr?«, sagte Mrs. Bird plötzlich hinter mir. Ich hatte sie gar nicht
kommen hören. »Haben Sie schon mal von Oliver Sykes gehört?«
    Als ich
den Kopf schüttelte, nickte sie, erfreut, mich aufklären zu können: »Das war
ein Architekt, er war zu seiner Zeit sehr berühmt. Und ziemlich exzentrisch. Er
hatte ein Haus oben in Sussex,

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