Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
Vom Netzwerk:
das
regelmäßig die Klatschspalten der Tageszeitungen zierte.
    Nach dem
Tod des Vaters im Jahr 1898 erbte
Raymond Blythe Schloss Milderhurst und kehrte mit Muriel nach Kent zurück, um
sich dort niederzulassen. Viele Berichte aus jener Zeit lassen vermuten, dass
die beiden sich schon lange Kinder wünschten, und als sie nach Milderhurst zogen,
brachte Raymond Blythe in seinen Briefen recht offen seine Bekümmernis darüber
zum Ausdruck, dass er immer noch nicht Vater geworden war. Das Elternglück
sollte jedoch noch einige Jahre auf sich warten lassen. Noch 1905 äußerte Muriel Blythe in einem Brief an ihre Mutter die
Sorge, dass ihr und Raymond letztlich der »Kindersegen verwehrt bleiben«
könnte. Es muss sie mit großer Freude erfüllt haben und sicherlich auch mit Erleichterung,
als sie nur vier Monate nach diesem Brief erneut an ihre Mutter schrieb, um
ihr mitzuteilen, dass sie endlich »guter Hoffnung« war. Nach einer schwierigen
Schwangerschaft, während der sie über längere Zeit ans Bett gefesselt war,
brachte Muriel im Januar 1906 Zwillingstöchter
zur Welt. In Briefen an seine beiden Brüder beschreibt Raymond Blythe diesen
Augenblick als den glücklichsten seines Lebens, und die zahlreichen Fotos im
Familienalbum legen Zeugnis ab von seinem Vaterstolz.
    Auf den
nächsten beiden Seiten befanden sich lauter Fotos von zwei kleinen Mädchen. Sie
sahen sich natürlich zum Verwechseln ähnlich, aber eins der beiden Mädchen war
kleiner und zarter als das andere und schien etwas weniger selbstbewusst zu
lächeln. Auf dem letzten Foto saß ein Mann mit welligem Haar und einem
freundlichen Gesicht in einem Sessel, auf jedem Knie ein Kleinkind im
Spitzenkleidchen. Etwas an ihm - das Funkeln in seinen Augen vielleicht oder
die Art, wie er zärtlich jedem Kind eine Hand auf den Arm gelegt hatte -
drückte seine tiefe Liebe zu den beiden aus, und als ich das Foto näher
betrachtete, fiel mir auf, dass es aus dieser Zeit kaum Aufnahmen gibt, auf
denen ein Vater in einer so simplen häuslichen Situation zu sehen ist, wo er
einfach nur seine kleinen Töchter vergöttert. Ich hatte Raymond Blythe bereits
ins Herz geschlossen, als ich weiterlas.
     
    Aber das
Glück sollte nicht von Dauer sein. Muriel Blythe starb an einem Winterabend des
Jahres 1910, als ein
Stück roter Glut aus dem offenen Kamin sprang, an dem sie saß, und in ihrem
Schoß landete. Ihr Reifrock fing sofort Feuer, und sie stand lichterloh in
Flammen, bevor jemand ihr zu Hilfe eilen konnte. Der Brand vernichtete den
Ostturm des Schlosses und die große Bibliothek der Familie Blythe. Mrs. Blythe
erlitt schwerste Verbrennungen, und obwohl sie in feuchte Tücher gewickelt und
von den besten Ärzten behandelt wurde, erlag sie einen Monat später ihren
schrecklichen Verletzungen.
    Raymond
Blythes Trauer um seine Frau war so groß, dass er nach ihrem Tod jahrelang
keinen einzigen Text veröffentlichte. Einige Quellen behaupten, er habe an
Schreibhemmung gelitten, andere glauben, dass er sein Arbeitszimmer
verriegelte, das er erst wieder betrat, als er mit der Arbeit an seinem bis
heute berühmten Roman Die wahre
Geschichte vom Modermann begann, entstanden 1917 in einer Phase intensiver Schreibtätigkeit. Obwohl das
Buch gemeinhin als Jugendlektüre gilt, sehen einige Kritiker in der Geschichte
eine Allegorie des Ersten Weltkriegs, dem so viele junge Leben auf den
schlammigen Schlachtfeldern in Frankreich zum Opfer gefallen sind; vor allem
werden Parallelen gezogen zwischen dem Modermann und den Scharen von Soldaten,
die nach dem grauenhaften Gemetzel versuchen, in die Heimat und zu ihren
Familien zurückzukehren. Raymond Blythe selbst wurde 1916 in Flandern verwundet und als Invalide nach Milderhurst
zurückgebracht, wo er noch lange auf die Hilfe mehrerer Pflegerinnen angewiesen
war. Die unbekannte Identität des Modermanns und die Suche des Erzählers nach
dessen ursprünglichem Namen und seinen Lebensdaten, nach seinem Platz in der
Geschichte, werden häufig als Allegorie auf die vielen unbekannten Gefallenen
des Ersten Weltkriegs gedeutet und auf das Gefühl der Heimatlosigkeit, an dem
Raymond Blythe möglicherweise nach seiner Heimkehr litt.
    Trotz
zahlreicher wissenschaftlicher Abhandlungen über das Thema bleibt die Wahrheit
über die Entstehung vom Modermann ein
Rätsel. Raymond Blythe hat sich bekanntlich nur sehr zurückhaltend dazu
geäußert, was ihn zu dem Roman inspiriert hat, und sagte nur, es sei ein
»Geschenk« gewesen, dass »die Muse«

Weitere Kostenlose Bücher