Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
Vom Netzwerk:
gleich. Juniper rauchte und betrachtete die Stelle, wo der
Mann durch den Spalt in der Kuppel über Milderhurst aus ihrer Welt
verschwunden war.
    »Er ist
sehr klug«, sagte Meredith schließlich. »Und er sieht gut aus. Und er ist nett,
selbst zu Leuten, die es einem nicht leicht machen. Er hat einen
schwachsinnigen Bruder, ein großer Kerl, der sich benimmt wie ein Baby, ganz
leicht anfängt zu weinen und manchmal auf der Straße herumschreit, aber du
müsstest mal sehen, wie geduldig Mr. Cavill mit ihm umgeht. Wenn du die beiden
zusammen erleben würdest, dann würdest du denken, dass er sich großartig
amüsiert, aber nicht auf so eine übertriebene Art, wie man es bei Leuten sieht,
wenn sie sich beobachtet fühlen. Er ist der beste Lehrer, den ich je hatte. Er
hat mir ein Tagebuch geschenkt, ein richtiges, mit Ledereinband. Er sagt, wenn
ich fleißig bin, kann ich länger zur Schule gehen, vielleicht sogar auf die
Oberschule und später an die Universität. Vielleicht kann ich eines Tages was
Richtiges schreiben, Geschichten oder Gedichte oder Zeitungsartikel ...« Sie
holte tief Luft. »Außer ihm hat noch nie jemand geglaubt, dass ich etwas gut
könnte.«
    Juniper
stieß ihre kleine Freundin mit der Schulter an. »Das ist doch wunderbar,
Meredith«, sagte sie. »Und Mr. Cavill hat wirklich recht, du kannst vieles gut.
Ich kenne dich erst seit ein paar Tagen, aber das habe ich schon begriffen ...«
    Sie
hustete gegen ihren Handrücken, weil sie plötzlich nicht weiterreden konnte.
Ein unvertrautes Gefühl hatte sie übermannt, während Meredith die Vorzüge
ihres Lehrers und seine Liebenswürdigkeit beschrieben und von ihren Hoffnungen
gesprochen hatte. In ihrer Brust hatte sich eine Hitze gebildet, sich immer
mehr ausgedehnt und sich wie Sirup unter ihrer Haut verteilt. Als sie ihre
Augen erreichte, verwandelte sich die Hitze in Nadelstiche. Beinahe wären ihr
Tränen gekommen.
    Ein
zärtliches und zartes Gefühl voller Fürsorge, und als sie sah, wie sich
Merediths Mund zu einem hoffnungsvollen Lächeln verzog, konnte sie nicht
anders, sie musste ihre kleine Freundin umarmen und an sich drücken. Meredith
machte sich ganz steif und klammerte sich an die Dachziegel.
    Juniper
richtete sich wieder auf. »Was ist? Alles in Ordnung?«
    »Ich hab
nur ein bisschen Höhenangst.«
    »Ach so?
Das hast du mir nicht gesagt.«
    Meredith
zuckte die Schultern und konzentrierte sich auf ihre nackten Füße. »Ich fürchte
mich vor ganz vielen Sachen.«
    »Wirklich?«
    Sie
nickte.
    »Na ja, ich glaube, das ist
ziemlich normal.« »Hast du auch manchmal Angst?« »Klar. Wer nicht?« »Wovor
denn?«
    Juniper
senkte den Kopf, zog kräftig an ihrer Zigarette. »Ich weiß nicht.«
    »Nicht vor
Gespenstern und unheimlichen Wesen im Schloss?« »Nein.«
    »Vor der Höhe?« »Nein.«
    »Vor dem Ertrinken?« »Nein.«
    »Davor, für immer ungeliebt und
allein zu sein?« »Nein.«
    »Davor,
bis an dein Lebensende etwas tun zu müssen, was du nicht ausstehen kannst?«
    Juniper
verzog das Gesicht. »Iihh ... nein.«
    Dann hatte
Meredith sie so niedergeschlagen angesehen, dass sie sagte: »Nur vor einer
Sache.« Ihr Puls begann zu rasen, obwohl sie gar nicht die Absicht hatte,
Meredith ihre größte, schwarze Angst zu beichten. Juniper hatte nicht viel
Erfahrung mit Freundschaften, aber es war bestimmt nicht ratsam, einer neuen,
lieben Freundin zu erzählen, dass sie fürchtete, eine Neigung zu extremer Gewalttätigkeit
zu besitzen. Sie rauchte ihre Zigarette und dachte an den Gefühlsausbruch, die
Wut, die sie beinahe innerlich zerrissen hätte. Erinnerte sich daran, wie sie
auf ihn losgegangen war, wie sie ohne nachzudenken den Spaten ergriffen hatte
und dann ...
    ... im
Bett aufgewacht war, Saffy neben sich und Percy am Fenster.
    Saffy
hatte sie angelächelt, aber kurz zuvor, als sie annahm, Juniper schliefe noch,
hatte ihr Gesicht etwas ganz anderes ausgedrückt. Ihr gequälter Blick, ihre
zusammengepressten Lippen, die zusammengezogenen Brauen straften ihre Versicherung
Lügen, dass alles gut sei. Dass nichts Schlimmes passiert sei. Etwas Schlimmes?
Ganz und gar nicht, Liebes! Nur ein bisschen verlorene Zeit, nicht anders als
sonst.
    Sie hatten
es aus Liebe vor ihr geheim gehalten, und das taten sie immer noch. Anfangs
hatte sie ihren Schwestern geglaubt, voller Zuversicht. Natürlich hatte sie
ihnen geglaubt. Welchen Grund hätten sie haben sollen, sie zu belügen? Es war
ja nicht das erste Mal, dass sie Zeit verloren hatte. Warum

Weitere Kostenlose Bücher