Morton, Kate
ihm über die Knie, nachdem er sich gesetzt hatte, und sagte:
»Tut mir leid, Daddy.
Ich hab's
vergessen. Ich habe die Glocke gehört und wollte dich nicht warten lassen.«
»Du siehst
aus wie ein Mann. Willst du das? Dass die Leute dich wie einen Mann behandeln?«
»Nein,
Daddy.« Percy fasste sich in den Nacken, befühlte die kleine, samtene Locke,
die ein bisschen länger als die übrigen Strähnen war. Seine Frage war nicht
böse gemeint, und er hatte sie damit nicht verletzt, aber die Bemerkung hatte
sie doch verblüfft. Verstohlen warf sie einen Blick auf die verglaste Tür des
Bücherschranks, sah ihr verzerrtes Spiegelbild in der unebenen Scheibe, ein
strenges Frauenzimmer, grobknochig, hochgewachsen, aber zwei nicht zu
übersehende Brüste und geschwungene Hüften, dazu ein Gesicht, das ohne
Lippenstift und Puder auskommen musste, das jedoch, so fand sie, keinesfalls
männlich wirkte. So hoffte sie zumindest.
Ihr Vater
hatte sich dem Fenster zugewandt und schaute auf die nächtlichen Felder hinaus,
ohne zu ahnen, was für Gedanken er bei ihr ausgelöst hatte. »Das alles«, sagte
er, ohne sich vom Fenster abzuwenden. »Das alles ...«
Sie trat
neben ihn und stützte sich mit dem Ellbogen auf die Sessellehne. Mehr brauchte
er nicht zu sagen. Sie wusste besser als jeder andere, was er empfand, wenn er
das Land seiner Vorfahren betrachtete.
»Hast du
Junipers Geschichte gelesen, Daddy?« Es war eins der wenigen Themen, die ihn
aufmuntern konnten, und Percy schnitt es an in der Hoffnung, ihn vor der
düsteren Stimmung zu bewahren, die ihn zu übermannen drohte.
Er machte
eine Handbewegung in Richtung seines Pfeifenbeutels, und Percy holte ihn.
Während er seine Pfeife stopfte, zündete sie sich eine Zigarette an. »Das Kind
hat Talent. Daran besteht kein Zweifel.«
Percy
lächelte. »Das hat sie von dir.«
»Wir
müssen sie vorsichtig behandeln. Der schöpferische Geist braucht Freiheit. Er
muss sich entwickeln, muss umherschweifen können, er braucht Zeit. Es ist
schwer, das einem Menschen zu erklären, Persephone, der geradlinig sein Ziel
verfolgt, aber es ist unabdingbar, dass sie
von alltäglicher Routine, von Ablenkungen befreit wird, die ihr Talent
verderben könnten.« Er packte Percys Rock. »Es gibt doch keinen Mann, der ihr
den Hof macht, oder?«
»Nein,
Daddy.«
»Ein
Mädchen wie Juniper muss beschützt werden«, fuhr er fort, das Kinn entschlossen
vorgereckt. »Sie muss an einem sicheren Ort leben. Hier in Milderhurst, im
Schloss.«
»Natürlich
wird sie hierbleiben.«
»Dafür
musst du sorgen. Du bist für deine beiden Schwestern verantwortlich.« Damit
war er bei seinem Lieblingsthema, er sprach über Vermächtnis und Verantwortung
und Erbe ...
Percy
hörte eine Weile zu, rauchte ihre Zigarette zu Ende, dann sagte sie: »Ich
bringe dich zur Toilette, bevor ich gehe, einverstanden, Daddy?«
»Bevor du
gehst?«
»Ich muss
heute Abend zu einer Versammlung. Im Dorf...«
»Immer
hast du es eilig.« Er zog einen hässlichen Schmollmund, und Percy konnte sich
plötzlich genau vorstellen, wie er als kleiner Junge ausgesehen hatte. Ein
launisches Kind, das es gewohnt war, seinen Willen zu bekommen.
»Komm,
Daddy.« Sie begleitete den alten Mann zur Toilette und wollte sich, während sie
wartete, eine neue Zigarette anzünden. Doch als sie in ihre Tasche griff,
bemerkte sie, dass sie die Zigaretten im Turmzimmer liegen gelassen hatte. Ihr
Vater würde eine Weile brauchen, Zeit genug, um sie schnell zu holen.
Sie lagen
auf dem Schreibtisch. Und dort entdeckte sie das große Kuvert. Es kam von Mr.
Banks, war aber nicht frankiert. Was bedeutete, dass der Anwalt es persönlich
abgeliefert hatte.
Percys
Herz begann zu pochen. Saffy hatte nichts von einem Besucher erwähnt. War es
möglich, dass Mr. Banks aus Folkstone angereist, ins Schloss geschlichen und
ins Turmzimmer hochgestiegen war, ohne sich bei Saffy anzumelden? Alles war
möglich, dachte sie, aber es kam ihr ziemlich unwahrscheinlich vor. Welchen
Grund hätte er für ein solches Verhalten haben sollen?
Einen
Moment lang stand sie unentschlossen da, das Kuvert in der Hand, während ihr
der Schweiß ausbrach, bis ihr die Bluse am Körper klebte.
Sie sah
sich hastig um, obwohl sie wusste, dass sie allein war, öffnete den Umschlag
und nahm das Schreiben heraus. Ein Testament. Mit dem Datum des heutigen Tages.
Percy glättete die Seiten und überflog den Text. Ihre schlimmsten Befürchtungen
wurden bestätigt.
Sie fasste
sich an die
Weitere Kostenlose Bücher