Morton, Kate
Schmetterling gesehen und war stehen geblieben, und so
hatte sie, während sie das Insekt vorsichtig aus seiner Falle befreite, ihren
Vater sagen hören: »Deswegen habe ich Sie kommen lassen, Banks. Der Tod ist ein
verdammtes Ärgernis. Haben Sie die Änderungen vorgenommen?«
»Ja. Ich
habe sie mitgebracht, damit Sie sie unter Zeugen unterzeichnen können, in
doppelter Ausführung für Ihre Unterlagen.«
Was danach
besprochen wurde, hatte Saffy nicht gehört, und sie hatte es auch nicht hören
wollen. Sie war die zweitgeborene Tochter eines altmodischen Mannes, eine mehr
oder weniger alte Jungfer: Die Männerwelt der Immobilien und Finanzen betraf
sie nicht und interessierte sie auch nicht. Ihr ging es nur darum, den armen
Schmetterling zu befreien und möglichst schnell aus dem Turm zu verschwinden.
Sie wollte die abgestandene Luft und die bedrückenden Erinnerungen rasch hinter
sich lassen. Seit über zwanzig Jahren hatte sie das winzige Zimmer nicht mehr
betreten, und sie hatte nicht vor, jemals wieder einen Fuß hineinzusetzen. Sie
war die Treppe hinuntergeeilt, vor der dunklen Wolke der Erinnerung
geflüchtet, die sich über ihr zusammenballte.
Denn sie
hatten sich einmal sehr nahegestanden, ihr Vater und sie, vor langer Zeit, aber
die Liebe war gestorben. Juniper war die bessere Autorin und Percy die bessere
Tochter, da blieb kein Raum mehr für die väterliche Liebe zu Saffy. Es hatte
nur eine kurze, herrliche Zeit gegeben, in der Saffy ihre Schwester in den
Schatten gestellt hatte. Das war nach dem Ersten Weltkrieg gewesen, als ihr
Vater als ein gebrochener Mann zurückgekehrt war und sie diejenige gewesen
war, die ihn geheilt hatte, die ihm das hatte geben können, was er am meisten
gebraucht hatte. Und es war verführerisch gewesen, die Kraft seiner Liebe zu
spüren, an den Abenden im Verborgenen, wo niemand sie hatte finden können ...
Saffy riss
die Augen auf. Irgendjemand schrie. Sie lag in der Wanne, aber das Wasser war
eiskalt, das Licht des hellen Tages entschwunden und der Abenddämmerung
gewichen. Saffy musste eingenickt sein. Aber wer schrie da? Sie richtete sich
auf und lauschte. Nichts. Vielleicht hatte sie es sich nur eingebildet.
Dann hörte
sie es wieder. Und ein Glockenbimmeln. Der alte Mann im Turm tobte mal wieder
herum. Sollte Percy sich um ihn kümmern. Die beiden hatten einander verdient.
Zitternd
entfernte Saffy den kalten Lappen und stand auf. Das Wasser schwappte.
Tropfnass stieg sie auf die Badematte. Jetzt waren unten Stimmen zu hören.
Meredith, Juniper - und Percy. Sie waren alle drei im gelben Salon.
Wahrscheinlich warteten sie auf ihr Abendessen, und Saffy würde es ihnen
bringen, wie immer.
Sie nahm
ihren Morgenmantel vom Haken an der Tür, kämpfte mit den Ärmeln, hüllte ihren
kalten, nassen Körper fest ein. Dann lief sie über den Korridor, ihre nassen
Füße platschten auf dem Steinboden. Sie würde ihr kleines Geheimnis hüten.
»Du hast
gerufen, Daddy?« Percy drückte die schwere Tür des Turmzimmers auf. Es dauerte
einen Moment, bis sie ihn entdeckte, zusammengekauert in der Nische neben dem
Kamin, unter dem riesigen Goya, und als sie ihn erblickte, sah er sie mit
angsterfüllten Augen an. Offenbar plagte ihn wieder eine seiner
Wahnvorstellungen. Woraus Percy schloss, dass sie, wenn sie nach unten ging,
höchstwahrscheinlich seine Medikamente auf dem Tisch in der Eingangshalle
finden würde, dort, wo sie sie am Morgen bereitgestellt hatte. Es war ihre
eigene Schuld, sie hatte mal wieder zu viel erwartet, und sie verfluchte sich
innerlich dafür, dass sie, als sie aus der Kirche gekommen war, nicht als
Erstes nach ihm gesehen hatte.
Mit
sanfter Stimme, so wie man mit einem Kind redete, sprach sie ihren Vater an.
»Ganz ruhig, es wird alles gut. Möchtest du dich in einen Sessel setzen? Komm,
ich helfe dir. Setz dich ans Fenster, es ist so ein schöner Abend.«
Als er
zitternd nickte und ihre ausgestreckte Hand nahm, wusste sie, dass der Anfall
vorüber war. Offenbar war es diesmal nicht so schlimm gewesen wie sonst, denn
er hatte sich wieder so weit gefasst, dass er sagen konnte: »Hatte ich dich
nicht gebeten, ein Haarteil zu tragen?« Das hatte er, häufig genug, und Percy
hatte sich tatsächlich eins gekauft (was gar nicht so einfach gewesen war in
diesen Zeiten), aber es lag immer nur wie ein abgeschnittener Fuchsschwanz auf
ihrem Nachttisch.
Über der
Sessellehne lag eine kleine Decke, die Lucy vor Jahren für ihn gehäkelt hatte.
Percy legte sie
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