Morton, Kate
keine Sorgen«, sagte sie mit einem knappen Nicken. »Ich finde sie
schon. Gibt es eine Nummer in London, unter der ich Sie erreichen kann? Sie
wird nicht weit gekommen sein.«
Von dort,
wo sie hockte, auf einem Ast der ältesten Eiche im Cardarker-Wald, konnte
Meredith noch gerade das Schloss sehen, das Turmdach mit seiner Spitze, die
wie eine Nadel in den Himmel ragte. Die Dachpfannen glänzten rot in der Nachmittagssonne,
und die silberne Kugel an der Spitze leuchtete. Auf dem Rasen vor dem Schloss
winkte Percy ihren Eltern zum Abschied.
Merediths
Ohren glühten vor Aufregung über die Missetat, die sie begangen hatte. Das
würde ein Nachspiel haben, keine Frage, aber sie hatte keine andere Wahl
gehabt. Sie war gerannt und gerannt, bis sie nicht mehr konnte, und nachdem sie
Atem geschöpft hatte, war sie auf den Baum geklettert, angefeuert von dem
köstlichen Wissen, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben impulsiv gehandelt
hatte.
Ihre
Eltern gingen die Zufahrt hinunter. Meredith sah, wie ihre Mum die Schultern
hängen ließ, und einen Moment lang dachte sie, sie weint, doch dann begann sie
mit den Armen zu gestikulieren, und ihr Dad wich erschrocken aus. Da wusste
Meredith, dass ihre Mum schrie und tobte, und sie brauchte ihre Worte nicht zu
hören, um zu begreifen, dass sie großen Ärger bekommen würde.
Percy
stand immer noch vor dem Schloss, eine Hand in die Hüfte gestemmt, und rauchte.
Sie ließ den Blick über den Wald wandern. Ganz leise regten sich Zweifel in
Merediths Bauch. Sie war davon ausgegangen, dass die Schwestern Blythe nichts
dagegen haben würden, wenn sie noch blieb, aber was war, wenn sie sich
getäuscht hatte? Wenn die Zwillinge so schockiert waren über ihren Ungehorsam,
dass sie sie nicht mehr haben wollten? Wenn ihr eigennütziges Verhalten sie in
große Schwierigkeiten gebracht hatte? Als Percy Blythe ihre Zigarette austrat
und ins Haus ging, fühlte Meredith sich plötzlich schrecklich einsam.
Auf dem
Dach des Schlosses bewegte sich etwas. Merediths Herz drehte sich wie ein
Feuerrad. Jemand in einem weißen Kleid kletterte da oben herum. Juniper. Sie war
also endlich aus ihrem Dachzimmer gekommen. Sie erreichte den Rand und setzte
sich so hin, dass ihre Beine über dem Abgrund baumelten. Jetzt würde sie sich
eine Zigarette anzünden, dachte Meredith, sich zurücklehnen und in den Himmel
schauen.
Aber das
tat sie nicht. Sie hielt inne und sah zum Wald herüber. Meredith klammerte
sich an den Ast und hätte beinahe laut gelacht. Es war, als hätte Juniper sie
von Weitem gehört, als hätte sie gespürt, dass ihre Freundin dort im Baum
hockte. Wenn irgendjemand so etwas konnte, dann nur Juniper.
Sie durfte
nicht zurückkehren nach London. Sie konnte einfach nicht. Noch nicht, noch
nicht.
Meredith
sah, wie ihre Eltern sich vom Schloss entfernten. Ihre Mum hatte die Arme vor
der Brust verschränkt, ihr Dad ließ die seinen hängen. »Tut mir leid«,
flüsterte sie. »Ich hatte keine andere Wahl.«
5
Das Wasser
war lauwarm und die Wanne nur halb voll, aber das störte Saffy nicht. Ein
ausgiebiges heißes Bad war ein Vergnügen, das der Vergangenheit angehörte, und
nach Percys gemeinem Verrat war sie einfach nur froh, allein zu sein. Sie
rutschte tiefer, bis sie ganz auf dem Rücken lag, die Knie angewinkelt, den
Kopf bis zu den Ohren im Wasser. Ihr Haar trieb wie Seetang um die Insel ihres
Gesichts, und sie hörte das Plätschern und Glucksen des Wassers, das Klappern
der Stopfenkette gegen die Emaille und andere fremdartige Geräusche der
Wasserwelt.
Saffy
hatte schon immer gewusst, dass sie die Schwächere von ihnen beiden war. Percy
tat es immer ab, wenn sie es erwähnte, meinte, das gebe es gar nicht,
jedenfalls nicht zwischen ihnen. Es gebe nur eine Sonnen- und eine
Schattenseite, auf der sie sich abwechselten, sodass immer alles perfekt
ausbalanciert sei. Was nett von ihr gemeint war, aber deswegen noch lange
nicht zutraf. Saffy wusste einfach, dass die Dinge, für die sie mehr Talent
besaß als Percy, völlig unwichtig waren. Sie konnte gut schreiben, sie war eine
geschickte Schneiderin, sie konnte (passabel) kochen und neuerdings auch
putzen; aber was nützten ihr solche Fertigkeiten, solange sie eine Sklavin war?
Schlimmer noch, eine willige Sklavin. Denn im Großen und Ganzen, auch wenn es
sie beschämte, sich das einzugestehen, hatte Saffy nichts dagegen, sich zu
unterwerfen. Es hatte schließlich auch etwas Bequemes, man trug nicht so eine
schwere Last. Aber
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