Morton, Kate
Stirn. Wie war es möglich, dass so etwas passierte? Und doch war es
geschehen: Sie hatte es schwarz auf weiß - und blau auf weiß, wo ihr Vater
unterschrieben hatte. Percy las das Dokument noch einmal, gründlicher, forschte
nach Lücken, überprüfte, ob eine Seite fehlte, suchte nach irgendetwas, das
ihr bewies, dass sie es nur missverstanden hatte.
Aber das
hatte sie nicht.
Großer
Gott, sie hatte es nicht missverstanden.
Teil vier
Zurück auf Schloss Milderhurst
1992
Herbert lieh mir sein Auto für die
Fahrt nach Milderhurst. Kaum hatte ich die Autobahn verlassen, kurbelte ich die Fenster herunter
und ließ mir den Wind um die Ohren wehen. Die Landschaft hatte sich in den
Monaten seit meinem letzten Besuch verändert. Der Sommer war gekommen und gegangen,
und der Herbst wollte in den Winter übergehen. Laub lag in großen Haufen am
Straßenrand, und je tiefer ich nach Kent hineinfuhr, umso größer wurden die
Alleenbäume, deren Kronen über der Straße ein Dach bildeten. Mit jedem Windstoß
legte sich eine neue Laubschicht auf die Erde, abgeworfene Haut, das Ende der
Jahreszeit.
In der Pension wartete ein Brief
auf mich.
Herzlich
willkommen, Edie. Ich musste einige Besorgungen machen, die nicht warten
konnten, und Bird liegt mit Grippe im Bett. Der beiliegende Schlüssel ist für
Zimmer 3 (erster
Stock). Tut mir schrecklich leid, Sie nicht persönlich in Empfang nehmen zu
können. Wir sehen uns dann beim Abendessen, um sieben Uhr im Esszimmer. Marilyn
Bird
PS: Ich
habe Bird gebeten, einen besseren Schreibtisch in Ihr Zimmer zu stellen. Es ist ein bisschen eng jetzt,
aber ich dachte, Sie würden sich freuen, etwas mehr Platz für Ihre Unterlagen
zu haben.
Ein
bisschen eng war reichlich untertrieben, aber ich hatte schon immer ein Faible
für kleine, dunkle Räume. Ich machte mich sofort daran, meine Sachen auf dem
Schreibtisch auszubreiten: Adam Gilberts Gesprächsabschriften, mein Exemplar
von Raymond Blythe in Milderhurst, der Modermann, diverse Notizblöcke und Stifte. Dann setzte ich mich und fuhr mit den
Händen an den glatten Kanten der Schreibtischplatte entlang. Mit einem
zufriedenen Seufzer stützte ich die Ellbogen auf und legte das Kinn in die
Hände. Es war dieses Erster-Schultag-Gefiihl, nur hundertmal besser. Drei Tage
lagen vor mir, und ich konnte es kaum erwarten, mich in mein Projekt zu
stürzen.
Dann
entdeckte ich das Telefon, einen altmodischen Apparat aus Bakelit, und konnte
nicht widerstehen. Das lag natürlich daran, dass ich wieder in Milderhurst
war, dem Ort, wo meine Mutter ein Jahr verbracht hatte.
Ich ließ
es ewig klingeln, und als ich gerade auflegen wollte, ging sie ran. Sie klang
ein bisschen atemlos. Ein kurzes Zögern, nachdem ich mich gemeldet hatte.
»Ach,
Edie, tut mir leid. Ich habe gerade deinen Vater gesucht. Er hat sich in den
Kopf gesetzt ... Ist alles in Ordnung?« Plötzlich klang sie besorgt.
»Ja, alles
in Ordnung, Mum. Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich gut angekommen bin.«
»Ach so.«
Sie atmete tief durch. Ich hatte sie überrascht: Ein Anruf, wenn man
wohlbehalten angekommen war, gehörte in unserer Familie nicht zum Repertoire.
»Äh. Schön. Danke. Nett von dir, dass du anrufst. Dein Vater wird sich freuen,
es zu hören. Du fehlst ihm, er bläst nur noch Trübsal, seit du weg bist.«
Wieder eine Pause, diesmal eine längere, und ich konnte beinahe hören, wie sie
angestrengt nachdachte. Schließlich platzte sie heraus: »Du bist also dort? In
Milderhurst? Wie ... wie ist es so? Wie sieht es aus?«
»Es sieht
großartig aus, Mum. Ein richtig goldener Herbst.«
»Ja, ich
erinnere mich, wie es im Herbst aussah. Wie die Bäume anfangs noch grün waren
und nur die äußeren Spitzen sich gelb färbten.«
»Und
orange«, sagte ich. »Und überall liegt Laub. Wirklich überall, wie ein dicker
Teppich.«
»Ja, daran
erinnere ich mich auch. Der Wind kommt vom Meer, und die Blätter fallen wie
Regen. Ist es windig, Edie?«
»Noch
nicht, aber für diese Woche ist Wind vorausgesagt.«
»Wart's
ab. Dann fallen die Blätter wie Schneeflocken. Sie knirschen unter den Füßen,
wenn man darüber läuft.«
Ihre
letzten Worte klangen ganz sanft und zart, und ich weiß auch nicht, woher das
Gefühl kam, aber plötzlich war ich von Zuneigung überwältigt und hörte mich
sagen: »Weißt du, Mum ... ich habe hier bis zum vierten zu tun. Vielleicht
hättest du ja Lust, einen Tag herzukommen.«
»Ach,
Edie, nein. Dein Vater
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