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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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ihn nie zu fragen brauchte,
wie es ihm ging. Dass Worte unnötig waren. Juniper hatte entdeckt, dass sie der
Worte überdrüssig war.
    Inzwischen
regnete es, gleichmäßig, aber längst nicht so heftig wie an dem Tag, als sie
sich in Tom verliebt hatte. Es war eins dieser plötzlichen, heftigen Gewitter,
die sich auf dem Rücken einer gewaltigen Hitze heranschlichen. Sie hatten den
Tag mit Spaziergängen verbracht, waren über den Portobello-Markt gestreift, den
Primrose Hill hinaufgestiegen, hatten sich zurück zu den Kensington Gardens
treiben lassen und waren durch das flache Wasser des Round Pond gewatet.
    Als der
Donner losbrach, kam er so unerwartet, dass die Leute entsetzt in den Himmel
gestarrt und gefürchtet hatten, sie würden mit einer ganz neuen Waffe
angegriffen. Und dann hatte es angefangen zu schütten, riesige, dicke Tropfen,
die die Welt mit einem ganz eigenen Glanz überzogen hatten.
    Tom hatte
Juniper an die Hand genommen, und sie waren zusammen losgerannt, durch die
Pfützen geplatscht und hatten, den Schreck noch in den Knochen, auf dem ganzen
Weg zu ihm nach Hause und die Treppen hinauf gelacht, bis sie sein dämmriges,
trockenes Zimmer erreichten.
    »Du bist
ja ganz nass«, hatte Tom gesagt, mit dem Rücken an die Tür gelehnt, die er
soeben zugeworfen hatte, den Blick auf das dünne Kleid geheftet, das ihr an den
Beinen klebte.
    »Nass?«,
hatte sie erwidert. »Ich bin so durchweicht, dass man mich auswringen könnte.«
    »Hier«,
sagte er, nahm sein Reservehemd vom Haken hinter der Tür und warf es ihr zu.
»Zieh dir das an.«
    Sie tat,
was er von ihr verlangte, zog sich das Kleid aus und schlüpfte in die Ärmel
seines Hemds. Tom hatte sich abgewandt und so getan, als machte er sich an dem
kleinen Porzellanwaschbecken zu schaffen, aber als sie sehen wollte, was er da
tat, war sie seinem Blick im Spiegel begegnet. Sie hatte ihm ein bisschen
länger als üblich in die Augen gesehen, lange genug, um zu bemerken, dass sich
etwas zwischen ihnen veränderte.
    Der Regen
ließ nicht nach, ebenso wenig der Donner, und ihr Kleid tropfte in der
Zimmerecke, wo er es zum Trocknen aufgehängt hatte. Beide zog es zum Fenster,
und Juniper, die normalerweise nicht schüchtern war, sagte irgendetwas Belangloses
über die Vögel und wo sie sich wohl im Regen aufhielten.
    Statt zu
antworten legte Tom die Hand an ihre Wange; es war nur eine leichte Berührung,
aber sie reichte. Juniper verstummte, schmiegte ihre Wange in seine Hand und
drehte den Kopf so, dass sie mit den Lippen seine Finger liebkosen konnte.
Dabei schaute sie ihn die ganze Zeit an, wie magisch in seinen Bann gezogen.
Und im nächsten Augenblick waren seine Finger an den Hemdknöpfen, auf ihrem
Bauch, ihren Brüsten, und ihr Puls begann zu rasen, als hätte ihr Blut sich in
zahllose winzige Kügelchen aufgelöst, die durch ihren Körper wirbelten.
     
    Nachher
hatten sie auf der Fensterbank gesessen, die Kirschen gegessen, die sie auf dem
Markt gekauft hatten, und die Kerne hinunter in die Pfützen fallen lassen.
Keiner sagte ein Wort, aber hin und wieder trafen sich ihre Blicke, und sie
mussten lächeln, fast verschwörerisch, als wären sie, und nur sie allein, in
ein großes Geheimnis eingeweiht worden. Juniper hatte sich über die körperliche
Liebe seit Jahren ihre Gedanken gemacht, hatte darüber geschrieben, sich
vorgestellt, was sie tun und sagen und empfinden würde. Nie hätte sie geahnt,
dass die geistige Liebe sich so eng mit ihr vereinigen könne.
    Jemandem
zu verfallen.
    Juniper
wusste auf einmal, was damit gemeint war. Das unglaubliche Gefühl, sich fallen
zu lassen in traumhafter Sorglosigkeit, die völlige Aufgabe des eigenen
Willens. Genauso war es für sie gewesen, aber es war auch noch mehr. Nachdem
sie ihr ganzes Leben lang vor körperlichem Kontakt zurückgeschreckt war, hatte
sie sich endlich mit einem anderen Menschen verbunden. Als sie im sinnlichen
Dämmerlicht zusammenlagen und sie ihr erhitztes Gesicht an seine Brust drückte,
sein Herz spürte und dem regelmäßigen Pochen lauschte, hatte sie gespürt, wie
ihr eigenes Herz ruhiger wurde, um sich mit seinem Rhythmus zu verbinden. Und
sie hatte irgendwie verstanden, dass sie in Tom den Menschen gefunden hatte,
der sie ins Gleichgewicht bringen konnte, und dass sich zu verlieben vor allem
bedeutete, aufgefangen ... gerettet zu werden ...
    Die
Haustür fiel krachend ins Schloss, und im Treppenhaus waren Geräusche zu hören,
Toms Schritte, die immer näher kamen, und

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