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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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mochte.
     
    Seit
vierzig Minuten versuchte er sich loszureißen, höflich natürlich, aber es war
nicht so einfach. Seine Angehörigen waren überglücklich, dass er sich halbwegs
normal verhielt und fast wieder »ganz der Alte« war, und sie konnten gar nicht
genug von ihm bekommen. Die winzige Küche seiner Mutter war zum Bersten mit
Verwandten gefüllt, und jede Frage, jeder Scherz, jede Feststellung traf ihn
wie ein Schlag ins Gesicht. Seine Schwester erzählte soeben von einer Bekannten,
die während der Verdunkelung von einem Doppeldeckerbus überfahren worden war.
Kopfschüttelnd ereiferte sie sich: »Was für ein Schock, Tommy. Sie war nur
rausgegangen, weil sie ein Paket mit Schals für die Soldaten abgeben wollte.«
    Tom
stimmte ihr zu, dass das schrecklich war - es war wirklich furchtbar -, und er
hörte zu, als Onkel Jeff berichtete, dass ein Nachbar ganz ähnlich mit einem
Fahrrad kollidiert war, dann scharrte er ein wenig mit den Füßen und stand auf.
»Also, schönen Dank, Mum ...«
    »Wie, du
gehst schon?« Sie hielt den Wasserkessel hoch. »Ich wollte gerade frisches
Teewasser aufsetzen.«
    Er küsste
sie auf die Stirn, überrascht, wie weit er sich hinunterbücken musste. »Dein
Tee ist unschlagbar, aber ich muss wirklich los.«
    Seine Mutter
zog die Brauen hoch. »Und wann wirst du sie uns vorstellen?«
    Sein
kleiner Bruder Joey spielte Lokomotive, und Tom gab ihm einen
freundschaftlichen Klaps auf den Rücken. Er wich dem Blick seiner Mutter aus.
»Vorstellen?«, sagte er, als er sich die Tasche über die Schulter warf. »Ich
habe keine Ahnung, wovon du redest.«
     
    Er schritt
forsch aus, denn er hatte es eilig, in seine Wohnung zu kommen, zu ihr, und ins
Trockene zu gelangen. Aber wie schnell er auch ging, die Worte seiner Mutter
hielten Schritt und ließen ihn nicht los, denn eigentlich sehnte sich Tom danach,
seiner Mutter und seinen Geschwistern von Juniper zu erzählen. Wenn er bei
seiner Familie war, hätte er am liebsten irgendeinen von ihnen an den Schultern
gepackt und gerufen, dass er verliebt war und dass die Welt ein wunderbarer Ort
war, auch wenn junge Männer sich gegenseitig erschossen und jungen Frauen -
Mütter kleiner Kinder - von Doppeldeckerbussen überfahren wurden, obwohl sie
bloß Schals für die Not leidenden Soldaten abliefern wollten.
    Aber er
tat es nicht, weil Juniper ihm das Versprechen abgenommen hatte, es niemandem
zu erzählen. Ihr entschiedener Wunsch, dass niemand von ihrer Liebe erfahren
dürfe, verwirrte Tom. Die Geheimnistuerei passte überhaupt nicht zu einer Frau,
die sonst so geradeheraus war, die Meinungen stets so klar äußerte, sich nie
für irgendetwas entschuldigte, was sie empfand oder sagte oder tat. Zuerst war
er gekränkt gewesen und hatte sich gefragt, ob sie vielleicht seine Familie
nicht für gut genug hielt, aber ihr Interesse an seinen Verwandten hatte ihm
diese Sorge genommen. Sie redete über sie, fragte nach ihnen wie jemand, der
schon seit Jahren mit den Cavills befreundet war. Inzwischen hatte er
begriffen, dass sie keinen Unterschied zwischen den Menschen kannte. Außerdem
wusste Tom mit Sicherheit, dass Junipers Schwestern, die sie offenbar sehr verehrte,
ebenso im Unklaren gelassen wurden wie seine eigene Familie. Briefe vom
Schloss trafen über ihren Patenonkel ein (den das Täuschungsmanöver nicht groß
zu verwundern schien), und Tom war aufgefallen, dass sie auf ihren
Antwortbriefen Bloomsbury als Absenderadresse angab. Er hatte sie nach dem
Grund dafür gefragt, zuerst unter einem Vorwand, dann geradeheraus, aber sie
hatte ihm keine Antwort gegeben, sondern nur vage erklärt, ihre Schwestern
seien übermäßig ängstlich und altmodisch, und sie wolle lieber warten, bis die
Zeit reif sei.
    Tom gefiel
es nicht, aber aus Liebe tat er, was sie von ihm verlangte. Mit einer Ausnahme.
Er hatte es sich nicht verkneifen können, Theo zu schreiben. Sein Bruder war
mit seinem Regiment so weit weg im Norden des Landes stationiert, dass es
irgendwie in Ordnung zu sein schien. Außerdem hatte Tom seinen ersten Brief
über das seltsame, schöne Mädchen, das er kennengelernt und das ihm seine Leere
genommen hatte, geschrieben, lange bevor es ihn gebeten hatte, niemandem etwas
zu verraten.
     
    Seit der
ersten Begegnung in der Nähe des Bahnhofs Elephant and Castle hatte Tom
gewusst, dass er Juniper Blythe unbedingt wiedersehen musste. Gleich am
nächsten Tag war er beim Morgengrauen nach Bloomsbury spaziert, einfach nur, so
hatte er sich

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