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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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Laune das Leben
schwer machte. Juniper hatte den Brief zweimal gelesen, um sich zu vergewissern,
dass sie ihn wirklich verstanden hatte, dann hatte sie ihn im Hyde Park in den
Serpentine-See geworfen und zugesehen, wie sich das feine Papier langsam
auflöste und die blaue Tinte zerfloss, während sich ihre Wut nach und nach
legte. Ihr Verhalten erinnerte sie an ihren Vater, das war ihr ebenfalls klar
geworden, und es passte zu dem alten Herrn, dass er noch aus dem Grab heraus
versuchte, das Leben seiner Töchter zu bestimmen. Aber Juniper würde sich das
nicht bieten lassen. Sie hatte nicht vor, sich von den Gedanken an ihren Vater
den Tag verdüstern zu lassen. Dieser besondere Tag sollte nur von Sonnenschein
erfüllt sein, auch wenn die wirkliche Sonne sich heute kaum blicken ließ.
    Mit
angezogenen Knien, den Rücken gegen die Fensterbrüstung gelehnt, rauchte sie
zufrieden und ließ den Blick über den Garten schweifen. Es war Herbst, der
Boden war übersät mit dichtem Laub, und der kleine Kater war außer sich vor
Vergnügen. Seit Stunden tobte er dort unten herum, belauerte imaginäre Feinde
und stürzte sich auf sie, verschwand unter Laubhaufen und versteckte sich an
schattigen Stellen. Die Dame aus der Parterrewohnung, deren Wohnung in Coventry
ein Raub der Flammen geworden war, kam gerade heraus. Sie stellte ein
Schüsselchen mit Milch auf den Boden. Viel konnte sie nicht erübrigen
angesichts der jüngsten Rationierungen, aber es reichte immer noch, das
streunende Kätzchen glücklich zu machen.
    Von der
Straße kam ein Geräusch, und Juniper reckte den Hals, um besser sehen zu
können. Ein Mann in Uniform näherte sich. Sie bekam Herzklopfen. Es dauerte
einen Moment, bis sie begriff, dass es nicht Tom war; sie zog an ihrer
Zigarette und unterdrückte einen angenehmen Schauer der Vorfreude. Natürlich
war er es nicht, noch nicht. Er würde mindestens noch eine halbe Stunde
brauchen. Wenn er seine Familie besuchte, dauerte es immer eine Ewigkeit, aber
bald würde er zurück sein, den Kopf voll mit Geschichten, und dann würde sie
ihn überraschen.
    Juniper
betrachtete den kleinen Tisch neben dem Gaskocher, den sie für ein paar Pennys
erstanden und den ihr ein Taxifahrer für eine Tasse Tee nach Hause
transportiert hatte. Auf dem Tisch stand ein Festessen, das eines Königs würdig
gewesen wäre. Eines Königs während der Rationierung zumindest. Die beiden
Birnen hatte Juniper auf dem Portobello-Markt ergattert. Wunderbare Birnen,
noch dazu zu einem Preis, den sie so gerade hatte bezahlen können. Sie hatte
sie gründlich poliert und sie malerisch neben die Sandwiches und die Sardinen
und das in Zeitungspapier gewickelte Päckchen gelegt. In der Mitte thronte
stolz auf einem umgedrehten Eimer der Kuchen. Ihr erster selbst gebackener
Kuchen.
    Schon vor
Wochen war sie auf die Idee gekommen, dass Tom einen Geburtstagskuchen bekommen
sollte und sie ihn backen würde. Der Plan war jedoch ins Stocken geraten, als
Juniper klar wurde, dass sie keine Ahnung hatte, wie man so etwas machte. Zudem
waren ihr ernsthafte Zweifel gekommen, ob der winzige Gaskocher so einer
gewaltigen Aufgabe überhaupt gewachsen sein würde. Nicht zum ersten Mal hatte
sie sich gewünscht, Saffy wäre in London. Nicht nur, um ihr bei dem Kuchen zu
helfen; denn auch wenn Juniper dem Schloss nicht nachtrauerte, so vermisste sie
doch ihre Schwestern.
    Schließlich
hatte sie an die Tür der Parterrewohnung geklopft, denn dort wohnte ein Mann,
dessen Plattfüße ihn - ein Glücksfall für die örtliche Kantine - vor dem
Kriegsdienst bewahrt hatten. Er war zum Glück zu Hause, und als Juniper ihm
ihre Zwangslage darlegte, hatte er sich freudig bereit erklärt, ihr zu helfen,
und gleich eine Liste der Dinge aufgestellt, die beschafft werden mussten,
wobei die durch die Rationierungen bedingten Einschränkungen seinen Ehrgeiz
geradezu zu beflügeln schienen. Er hatte sogar ein kostbares Ei aus seinen
Vorräten beigesteuert, und als Juniper sich verabschiedete, hatte er ihr noch
ein in Zeitungspapier gewickeltes, mit Schnur zugebundenes Päckchen in die Hand
gedrückt. »Ein Geschenk für Sie beide.« Natürlich gab es keinen Zucker für die
Glasur, aber Juniper hatte Toms Namen mit Pfefferminz-Zahnpasta auf den Kuchen
geschrieben, und es sah wirklich gar nicht so schlecht aus.
    Irgendetwas
Kühles traf ihren Fußknöchel. Dann ihre Wange. Es hatte angefangen zu regnen.
Juniper schaute sich um und fragte sich, wie weit Tom noch weg sein

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