Morton, Kate
habe.
Ich bedaure die Unannehmlichkeit, die ich Ihrem Kollegen bereitet habe. Ich
bezweifle in keiner Weise, dass er seine Aufgabe hervorragend gelöst hätte. Er
war absolut professionell. Und dennoch blieb mir nichts anderes übrig. Ich
wollte, dass Sie herkommen, und ich wusste nicht, wie ich das sonst hätte bewerkstelligen
sollen.«
»Aber
warum?« Ihre ganz Art war wie verwandelt, und ich spürte, wie sich mir die
Nackenhaare aufstellten.
»Ich habe
eine Geschichte. Ich bin die Einzige, die sie kennt. Ich werde sie Ihnen
erzählen.«
»Warum?«
Meine Stimme war belegt und tonlos, ich räusperte mich und wiederholte die
Frage: »Warum?«
»Weil sie
erzählt werden muss. Weil mir viel an genauer Berichterstattung liegt. Weil
ich sie nicht länger mit mir herumtragen kann.« Bildete ich mir nur ein, dass
sie in diesem Moment Goyas Ungeheuer im Blick hatte?
»Aber
warum wollen Sie sie unbedingt mir erzählen?«
Sie
blinzelte. »Weil Sie die sind, die Sie sind, natürlich. Und wegen Ihrer
Mutter.« Aus der Andeutung eines Lächelns schloss ich, dass sie ihren Spaß an
der Unterhaltung hatte, an der Macht vielleicht, die sie über mich Ahnungslose
ausübte. »Es war Juniper, die darauf gekommen ist. Sie hat Sie Meredith genannt.
Da ist bei mir der Groschen gefallen. Und in dem Moment wusste ich, dass Sie
die Richtige sind.«
Das Blut
wich aus meinem Gesicht, und ich fühlte mich wie ein Kind, das dabei erwischt
wird, wie es den Lehrer belügt. »Tut mir leid, dass ich es nicht eher gesagt
habe, ich dachte einfach ...«
»Ihre
Gründe interessieren mich nicht. Wir alle haben unsere Geheimnisse.«
Ich
behielt den Rest meiner Rechtfertigung für mich.
»Sie sind
Merediths Tochter«, fuhr sie fort, und ihr Ton wurde drängender, »was
bedeutet, dass Sie zur Familie gehören. Und es geht um eine
Familiengeschichte.«
Das war
das Letzte, womit ich gerechnet hatte, und es haute mich um. Ich freute mich
für meine Mutter, die diesen Ort so sehr geliebt und so lange Zeit geglaubt
hatte, sie würde nicht gemocht. »Aber was soll ich tun?«, fragte ich. »Mit
Ihrer Geschichte, meine ich.«
»Damit
tun?«
»Soll ich
sie aufschreiben?«
»Das denke
ich nicht. Nicht aufschreiben, nur richtigstellen.
Ich muss
mich darauf verlassen können, dass Sie das tun werden ...« Sie richtete ihren
Zeigefinger auf mich, eine strenge Geste, die jedoch gemildert wurde, als ihre
Gesichtszüge sich entspannten. »Kann ich Ihnen vertrauen, Miss Burchill?«
Ich
nickte, auch wenn ihr ganzes Verhalten eine böse Vorahnung in mir aufkommen
ließ in Bezug auf das, was sie von mir verlangte.
Sie wirkte
erleichtert - ein kurzer Moment, in dem sie aus der Deckung kam; aber im
nächsten Augenblick hatte sie sich schon wieder verschanzt. »Also denn«, sagte
sie kühl und wandte ihren Blick zum Turmfenster, aus dem ihr Vater sich in den
Tod gestürzt hatte. »Ich hoffe, Sie halten es ohne Mittagessen aus. Ich habe
keine Zeit zu verlieren.«
Die Geschichte von Percy Blythe
P ercy Blythe begann mit einer Klarstellung. »Ich bin
keine Geschichtenerzählerin«, sagte sie, während sie ein Streichholz anriss,
»so wie die anderen. Ich habe nur eine einzige Geschichte zu erzählen. Hören
Sie aufmerksam zu. Ich werde sie kein zweites Mal erzählen.« Sie zündete sich
eine Zigarette an und machte es sich in ihrem Sessel bequem. »Ich hatte Ihnen
gesagt, dass es nichts mit dem Modermann zu tun hat, aber das stimmt nicht ganz. Auf die
eine oder andere Weise beginnt und endet diese Geschichte mit dem Buch.«
Der Wind
fuhr in den Kamin und spielte in den Flammen, ich klappte mein Notizbuch auf.
Sie hatte zwar gesagt, es sei nicht notwendig mitzuschreiben, aber ich war inzwischen
reichlich nervös und es beruhigte mich einigermaßen, mich hinter den fein
linierten Seiten verstecken zu können.
»Mein
Vater hat uns einmal gesagt, die Kunst sei die einzige Form der
Unsterblichkeit. Solche Dinge sagte er öfter; wahrscheinlich hatte er es von
seiner Mutter gehört. Sie war eine begabte Lyrikerin und eine ausgesprochene
Schönheit, aber keine warmherzige Frau. Sie konnte grausam sein. Nicht
absichtlich, ihr Talent machte sie grausam. Sie hat meinem Vater alle möglichen
Flöhe ins Ohr gesetzt.« Percys Mundwinkel zuckten, und sie schwieg einen
Moment, während sie ihr Haar im Nacken glättete. »Jedenfalls hat er sich
geirrt. Es gibt eine andere Art der Unsterblichkeit, die allerdings erheblich
weniger angestrebt oder gefeiert wird.«
Ich
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