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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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hat. Es hat mich viel gekostet, ihn zu schreiben ...
er war so versessen auf das Manuskript, auf die Geschichte. Als er aus dem
Krieg zurückkehrte, war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Abgemagert bis
auf die Knochen, die Augen glasig. Wir wurden die meiste Zeit von ihm
ferngehalten - wir würden ihn stören, meinten die Krankenschwestern -, aber wir
haben uns trotzdem zu ihm geschlichen, durch die Adern im Schloss.
    Er saß am
Fenster, schaute mit leerem Blick nach draußen und sprach von einer großen
Leere in seinem Innern. Er meinte, sein Geist verlange danach, schöpferisch
tätig zu werden, aber sobald er einen Stift in die Hand nehme, komme ihm
nichts in den Sinn. >Ich bin leer<, sagte er immer wieder, und es
stimmte. Sie können sich vorstellen, wie sehr es ihn aufgebaut hat, sich auf
die Notizen zu stürzen, aus denen dann der Modermann entstand.«
    Ich nickte
und musste an die Kladden im Familienarchiv denken, an die veränderte
Handschrift, voller Selbstvertrauen und Entschlossenheit von der ersten bis zur
letzten Zeile.
    Als ein
Blitz den Himmel zerriss, zuckte Percy Blythe zusammen. Sie wartete, bis der
darauf folgende Donner verklungen war. »Die Worte in diesem Buch waren seine,
Miss Burchill, es war die Idee, die er gestohlen hat.«
    Von wem, hätte ich
am liebsten geschrien, aber diesmal biss ich mir auf die Zunge.
    »Es hat
mich geschmerzt, diesen Brief zu schreiben, seinen Enthusiasmus zu dämpfen, wo
dieses Projekt ihn doch so aufgerichtet hatte, aber ich musste es tun.« Ganz
plötzlich begann es, in Strömen zu regnen. »Kurz nachdem unser Vater aus dem
Krieg zurückgekehrt war, bin ich an Scharlach erkrankt und wurde zur Genesung
fortgeschickt. Zwillinge, Miss Blythe, verkraften Einsamkeit nicht gut.«
    »Es muss
schrecklich gewesen sein ...«
    »Saffy«,
fuhr sie fort, als hätte sie meine Anwesenheit vergessen, »war schon immer die
Fantasievolle von uns beiden. Wir ergänzten und vervollständigten uns, Illusion
und Realität wurden so in Schach gehalten. Aber durch die Trennung verstärkten
sich unsere jeweiligen gegensätzlichen Neigungen.« Sie erschauderte und trat
vom Fenster weg; Regentropfen prasselten auf die Fensterbank. »Meine
Zwillingsschwester litt unter Albträumen. Das kommt häufig vor bei Menschen
mit einer lebhaften Fantasie.« Sie sah mich an. »Doch im Grunde waren es nicht Albträume, denn es war nur ein einziger
Albtraum, immer wieder derselbe.«
    Das
Gewitter hatte das letzte Tageslicht verschluckt, sodass es im Turmzimmer immer
dunkler wurde. Nur das rötliche Flackern des Kaminfeuers spendete ein unstetes
Licht. Percy trat an den Schreibtisch und knipste die Lampe an. Der grünliche
Schein ließ dunkle Schatten unter ihren Augen entstehen. »Sie träumte ihn, seit
sie vier Jahre alt war. Sie wachte nachts schreiend und schweißgebadet auf und
glaubte, ein mit Schlamm bedeckter Mann würde aus dem Graben klettern, um sie
zu holen.« Sie neigte den Kopf ein wenig, und ihr Gesicht entspannte sich.
»Ich habe sie jedes Mal beruhigt und ihr erklärt, dass es nur ein Traum sei,
dass ihr nichts passieren würde, solange ich da war.« Sie atmete schwer aus.
»Und sie ließ sich auch stets von mir beruhigen. Zumindest bis zum Juli 1917.«
    »Das war
die Zeit, wo Sie an Scharlach erkrankten und fortgeschickt wurden.«
    Ein
Nicken, so unmerklich, dass ich es mir vielleicht nur einbildete.
    »Von da an
hat sie stattdessen Ihrem Vater von dem Traum erzählt.«
    »Er hatte
sich vor den Krankenschwestern versteckt, so war er zu ihr gelangt. Sie muss
ziemlich durcheinander gewesen sein - Zurückhaltung war noch nie Saffys Sache
-, und er hat sie gefragt, was passiert sei.«
    »Und dann hat
er es aufgeschrieben.«
    »Ihr Dämon
war sein Erlöser. Zu Anfang jedenfalls. Die Geschichte beflügelte ihn: Er hat
Saffy ausgefragt und wollte Einzelheiten wissen. Seine Aufmerksamkeit hat ihr
sicherlich geschmeichelt, und als ich aus dem Krankenhaus kam, war alles
anders. Mein Vater strahlte, er hatte sich erholt, er war wie berauscht, und
er und Saffy hatten ein gemeinsames Geheimnis. Keiner von beiden hat mir
gegenüber den Modermann erwähnt. Erst als ich die Druckfahnen auf seinem
Schreibtisch sah, dämmerte mir, was geschehen war.«
    Der Regen
wurde immer heftiger, und ich musste das Fenster schließen, um Percy besser
hören zu können. »Und da haben Sie den Brief geschrieben.«
    »Ich
wusste natürlich, dass es für Saffy schrecklich wäre, wenn er so etwas
veröffentlichte.

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