Morton, Kate
Mutter hat sich sehr schwergetan, Mutter zu werden, und
als sie endlich Erfolg hatte, bekam sie solche Depressionen, dass sie über
lange Zeit kaum noch aus dem Bett aufstand. Als sie sich schließlich erholt
hatte, musste sie feststellen, dass ihre Familie nicht auf sie gewartet hatte.
Ihre Kinder versteckten sich hinter den Beinen ihres Vaters, wenn sie sie in
den Arm nehmen wollte, und sie weinten und widersetzten sich, wenn sie ihnen zu
nahe kam. Wir gewöhnten uns an, Wörter aus anderen Sprachen zu benutzen, die
unser Vater uns beigebracht hatte, damit sie uns nicht verstehen konnte. Er
lachte nur darüber und spornte uns an, weil unsere Altklugheit ihn amüsierte.
Wie grausam müssen wir gewesen sein. Wir kannten sie kaum, wissen Sie. Wir
weigerten uns, bei ihr zu bleiben, wir wollten nur mit unserem Vater zusammen
sein, und er wollte nur uns um sich haben, und so wurde sie einsam.«
Einsam.
Ich hatte das Gefühl, dass noch nie ein Wort für mich einen so unheilvollen
Klang gehabt hatte wie dieses aus dem Munde von Percy Blythe. Ich musste an die
Daguerreotypien von Muriel Blythe denken, die ich im Familienarchiv gesehen
hatte. Es war mir sonderbar vorgekommen, dass sie an einem solch dunklen,
vergessenen Ort hingen; aber jetzt bekam es etwas geradezu Bedrohliches. »Was
ist passiert?«
Sie warf
mir einen scharfen Blick zu. »Alles zu seiner Zeit.«
Ein
Donnerschlag zerriss die Stille, und Percy schaute zum Fenster. »Ein Gewitter«,
sagte sie angewidert. »Genau das, was wir brauchen.«
»Soll ich
das Fenster schließen?«
»Nein,
noch nicht. Die Luft tut mir gut.« Stirnrunzelnd blickte sie zu Boden, während
sie an der Zigarette zog; sie sammelte ihre Gedanken, dann sah sie mich wieder
an. »Meine Mutter nahm sich einen Liebhaber. Wer konnte es ihr verübeln? Mein
Vater hatte die beiden zusammengebracht - natürlich ohne sich etwas dabei zu
denken. So eine Geschichte war das nicht - er bemühte sich um Wiedergutmachung.
Wahrscheinlich war ihm bewusst, dass er sie lange Zeit vernachlässigt hatte,
jedenfalls ließ er umfangreiche Verbesserungen am Schloss und an den Gärten
vornehmen. Die Parterrefenster wurden mit Fensterläden versehen, als Erinnerung
an die, die sie auf dem Kontinent so bewundert hatte, und es wurden Arbeiten am
Schlossgraben ausgeführt. Diese Arbeiten zogen sich ausgesprochen lange hin,
und Saffy und ich sahen häufig vom Dachbodenfenster aus zu. Der Name des
Architekten war Sykes.«
»Oliver Sykes.«
Sie war
überrascht. »Sehr gut, Miss Burchill. Ich wusste ja, dass Sie klug sind, aber
ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich so gut mit Architektur auskennen.«
Ich
schüttelte den Kopf und erzählte ihr, dass ich Raymond
Blythe in Milderhurst gelesen hatte. Ich erwähnte
allerdings nicht, dass ich über Raymond Blythes Hinterlassenschaft an das
Pembroke-Farm-Institut informiert war. Was nur bedeuten konnte, dass er nichts
von der Affäre gewusst hatte.
»Mein
Vater war nicht im Bilde«, sagte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
»Aber wir. Kinder spüren solche Dinge. Aber wir sind nie auf die Idee gekommen,
ihm davon zu erzählen. Wir lebten in der Überzeugung, dass wir seine Welt
waren und er sich für die Aktivitäten unserer Mutter genauso wenig interessierte
wie wir.« Sie veränderte ihre Sitzposition ein wenig, sodass ihre Bluse leicht
verrutschte. »Ich bereue nichts, Miss Burchill, aber wir sind alle
verantwortlich für unser Handeln, und ich habe mich seitdem immer wieder
gefragt, ob dies der Moment war, an dem sich das Schicksal der Familie Blythe
entschied, und ob alles anders ausgegangen wäre, wenn Saffy und ich ihm nur
erzählt hätten, dass wir unsere Mutter mit dem Mann zusammen gesehen hatten.«
»Warum?«
Es war dumm von mir, ihren Gedankenfluss zu unterbrechen, aber ich konnte nicht
anders. »Warum wäre es besser gewesen, wenn Sie ihm davon erzählt hätten?« Ich
hätte inzwischen wissen müssen, dass Percy Blythe Unterbrechungen nicht
duldete.
Sie stand
auf, stützte die Hände auf den Rücken und streckte sich. Dann zog sie ein
letztes Mal an ihrer Zigarette, drückte sie im Aschenbecher aus und trat steif
ans Fenster. Von meinem Platz aus sah ich den wolkenverhangenen Himmel, aber
sie betrachtete mit verengten Augen den glitzernden Streifen Sonnenlicht am
Horizont. »Dieser Brief, den Sie gefunden haben«, sagte sie, während der Donner
näher kam, »ich wusste nicht, dass mein Vater ihn aufbewahrt hatte, aber ich
bin froh, dass er es getan
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