Morton, Kate
hierherzukommen, Miss
Blythe?«
Eine ihrer
narbengleichen Brauen schoss wie ein Pfeil nach oben. »Wie bitte?«
»Judith
Waterman von Pippin Books hat mir gesagt, dass Sie sie angerufen haben. Dass
Sie speziell nach mir gefragt haben.«
Ihr
Mundwinkel zuckte, und sie sah mich direkt an. Man ist sich oft gar nicht
bewusst, wie selten es vorkommt, bis es jemand tatsächlich tut und einem ohne
zu blinzeln direkt bis auf den Grund der Seele blickt. »Hinsetzen«, sagte sie,
so wie man es einem Hund sagt, den man erziehen will, oder einem ungehorsamen
Kind, und sie sagte es mit so schneidender Stimme, dass ich nicht anders
konnte, als zu gehorchen. Ich suchte mir den nächststehenden Sessel und setzte
mich.
Sie
klopfte das Ende einer Zigarette auf den Schreibtisch und zündete sie an. Sie
sog den Rauch heftig ein und hielt den Blick auf mich gerichtet, während sie ausatmete.
»Sie haben sich irgendwie verändert«, sagte sie, während sie die andere Hand
auf ihrem Körper ruhen ließ, und lehnte sich im Sessel zurück. Um mich besser
taxieren zu können.
»Ich weiß
nicht, was Sie meinen.«
Sie kniff
die Augen zusammen und musterte mich von oben bis unten mit einem sezierenden
Blick, der mir eine Gänsehaut verursachte. »Ja, Sie sind weniger vergnügt als
beim letzten Mal.«
Da konnte
ich ihr kaum widersprechen. »Ja«, antwortete ich. Meine Arme drohten ein
Eigenleben zu führen, deshalb verschränkte ich sie vor der Brust. »Tut mir
leid.«
»Es
braucht Ihnen nicht leidzutun«, sagte Percy, hob die Zigarette und das Kinn.
»So gefallen Sie mir besser.«
Natürlich.
Und glücklicherweise kam sie, bevor ich mit der Unmöglichkeit konfrontiert war,
eine Antwort zu formulieren, auf meine Frage zurück. »Ich habe in erster Linie
nach Ihnen gefragt, weil meine Schwester keinen fremden Mann in diesem Haus
erträgt.«
»Aber Mr.
Gilbert hatte seine Gespräche doch schon geführt. Es gab keinen Grund mehr für
ihn, noch einmal nach Milderhurst zu kommen, wenn Juniper das nicht wollte.«
Das
listige Lächeln erschien wieder auf ihren Lippen. »Sie sind sehr scharfsinnig.
Sehr gut. Das hatte ich gehofft. Nach unserer ersten Begegnung war ich mir
nicht ganz sicher, und ich hatte keine Lust, mich mit einer dummen Gans herumzuschlagen.«
Ich war
hin- und hergerissen zwischen »danke« und »Sie können mich mal«, entschied
mich dann aber doch für ein kühles Lächeln.
»Wir
kennen nicht sehr viele Leute«, fuhr sie fort und stieß eine Qualmwolke aus,
»nicht mehr. Und als Sie dann zu Besuch kamen und die Bird mir erzählte, Sie
arbeiteten in einem Verlag, nun, da habe ich angefangen, mir Gedanken zu machen.
Dann sagten sie, Sie hätten keine Geschwister.«
Ich nickte
und versuchte, ihrer Logik zu folgen.
»Das hat
den Ausschlag für meine Entscheidung gegeben.« Sie zog an ihrer Zigarette und
suchte dann umständlich einen Aschenbecher. »Ich wusste, Sie würden nicht
voreingenommen sein.«
Ich kam
mir von Minute zu Minute weniger scharfsinnig vor. »Voreingenommen in welcher
Hinsicht?« »In Bezug auf uns.«
»Miss
Blythe, ich verstehe leider nicht, was das alles mit dem Vorwort zu tun hat,
das ich schreiben soll, mit dem Buch Ihres Vaters und Ihren Erinnerungen an die
Veröffentlichung des Romans.«
Sie
wedelte ungeduldig mit der Hand, sodass die Asche auf den Boden fiel. »Nichts.
Gar nichts. Es hat überhaupt nichts mit alldem zu tun. Es hat mit dem zu tun,
was ich Ihnen erzählen werde.«
Spürte ich
es in diesem Moment? Das unheimliche Kribbeln unter der Haut? Vielleicht war es
auch nur der kühle, herbstliche Windstoß, der in dem Moment unter der Tür
hindurchfegte und so lange am Schloss rüttelte, bis der Schlüssel zu Boden
fiel. Percy ignorierte das Geräusch, und ich versuchte es ebenfalls. »Mit dem,
was Sie mir erzählen werden?«
»Etwas,
das geradegerückt werden muss, bevor es zu spät ist.«
»Zu spät
wofür?«
»Ich werde
bald sterben.« Sie sah mich mit der gewohnten kalten Freimütigkeit an. »Das tut
mir leid ...«
»Ich bin
alt. So etwas kommt vor. Bitte kommen Sie mir nicht mit unangebrachtem
Mitgefühl.« Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, wie Wolken, die über den
winterlichen Himmel jagen und sich vor den letzten Rest des schwachen Sonnenlichts
schieben. Sie wirkte plötzlich gealtert und müde. Und ich begriff, dass das,
was sie gesagt hatte, der Wahrheit entsprach; sie würde bald sterben. »Ich war
nicht ehrlich, als ich diese Verlegerin angerufen und nach Ihnen gefragt
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