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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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Bussen, und anstatt mich am BBC-Gebäude
aussteigen zu lassen, hat mich der Fahrer in der Nähe vom Marble Arch
abgesetzt. Ich bin den Weg zurückgerannt, aber als ich in die Regent Street
kam, sah ich all diese jungen Frauen aus dem Gebäude kommen, wie sie lachten
und scherzten, sie wirkten so klug und sie schienen sich alle zu kennen. Die
waren viel jünger als ich und sahen aus, als wüssten sie alle Antworten auf die
Fragen des Lebens.« Sie wischte einen Krümel vom Tisch, bevor sie mir in die
Augen sah. »Dann habe ich mein Spiegelbild in einem Schaufenster gesehen und
kam mir vor wie eine Betrügerin, Edie.« »Ach, Mum.«
    »Eine
zerzauste Betrügerin. Ich habe mich nur noch verachtet und dafür geschämt,
dass ich mir eingebildet hatte, ich könnte zu ihnen gehören. Ich glaube, ich
hatte mich noch nie so einsam gefühlt. Ich habe kehrtgemacht und bin tränenüberströmt
in die andere Richtung gegangen. Ich muss einen fürchterlichen Anblick geboten
haben. Ich fühlte mich so elend und voller Selbstmitleid, dass sogar Wildfremde
mir im Vorbeigehen ein >Kopf hoch< zuriefen, und als ich dann an einem
Kino vorbeikam, bin ich reingegangen, um mich auszuheulen.«
    Ich musste
daran denken, wie mein Vater mir erzählt hatte, dass sie in dem Film die ganze
Zeit geweint hatte. »Und du hast dir The Holly and the Ivy angesehen.«
    Meine
Mutter nickte, holte irgendwo ein Papiertaschentuch hervor und wischte sich die
Augen. »Da habe ich deinen Vater kennengelernt. Und er hat mich zu Tee und
Birnenkuchen eingeladen.«
    »Dein
Lieblingskuchen.«
    Sie
lächelte mich durch die Tränen an und schwelgte in der Erinnerung. »Er hat mich
die ganze Zeit gefragt, was mit mir los wäre, und als ich ihm gesagt habe, der
Film hätte mich zum Weinen gebracht, hat er mich ganz ungläubig angesehen.
>Aber es ist doch nur ein Film<, hat er dann gesagt und ein zweites Stück
Kuchen bestellt, >ist doch alles nur gespielt.<«
    Wir
mussten beide lachen. Sie hatte genau wie mein Vater geklungen.
    »Er war so
selbstsicher, Edie, so unerschütterlich, was seine Sicht auf die Welt und
seinen Platz darin anging. Er war erstaunlich. Ich hatte noch nie einen wie
ihn kennengelernt. Was nicht konkret vor ihm stand, hat er einfach nicht
gesehen, er hat sich nie im Voraus Sorgen über etwas gemacht, sondern Probleme
dann in Angriff genommen, wenn sie da waren. Darin habe ich mich verliebt, in
seine Zuversichtlichkeit. Er stand mit beiden Füßen fest auf dem Boden, und
wenn er mit mir redete, fühlte ich mich geborgen. Zum Glück hat er auch etwas
in mir gesehen. Es klingt vielleicht nicht besonders aufregend, aber wir sind
sehr zufrieden miteinander. Dein Vater ist ein guter Mann, Edie.«
    »Ich
weiß.«
    »Ehrlich,
freundlich, zuverlässig. Das kann man gar nicht hoch genug einschätzen.«
    Ich konnte
ihr nur zustimmen, und während wir unsere Suppe aßen, musste ich wieder an die
Ereignisse der vergangenen Nacht denken. Mir fiel die Schachtel ein, die
Juniper mir gegeben hatte.
    »Gott, das
hätte ich beinahe vergessen!«, sagte ich, griff nach meiner Tasche und holte
sie heraus.
    Meine
Mutter legte ihren Löffel weg und wischte sich die Finger an der Serviette ab,
die auf ihrem Schoß lag. »Ein Geschenk ... ?«
    »Es ist nicht von mir.« »Sondern?«
    Ich war
drauf und dran zu sagen: »Mach's auf und sieh selbst«, als mir einfiel, dass
ich sie schon einmal mit einem ähnlichen »Geschenk« überfallen hatte. »Es ist
von Juniper, Mum.«
    Sie
öffnete den Mund und sog erschrocken die Luft ein. Doch sie nahm die Schachtel
und versuchte, sie zu öffnen. »Verflixt«, sagte sie mit einer Stimme, die mir
fremd war. »Warum bin ich immer so ungeschickt.« Als sie den Deckel schließlich
anhob, schlug sie sich die Hand vor den Mund. »Ach du je.« Sie nahm die
brüchigen Seiten vorsichtig heraus und hielt sie in Händen, als wären sie das
Wertvollste auf dieser Welt.
    »Juniper
hat mich für dich gehalten«, sagte ich. »Sie hat es für dich aufbewahrt.«
    Meine
Mutter schaute zum Schloss hinauf und schüttelte ungläubig den Kopf. »All die
Jahre ...«
    Sie
blätterte durch die maschinengeschriebenen Seiten, las hier und dort einzelne
Sätze, und immer wieder erschien ein Lächeln in ihrem Gesicht. Ich beobachtete
sie, froh über das offensichtliche Vergnügen, das ihr ihre eigenen Zeilen
bereiteten. Aber da war noch etwas anderes. Eine Veränderung ging in ihr vor,
fast unmerklich, aber bestimmt, als ihr klar wurde, dass ihre Freundin sie
nicht

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