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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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irgendetwas gehört hatte, ein nächtliches
Geräusch, das wieder verklungen war, oder ob ich mich selbst wachgeträumt
hatte. Auf jeden Fall hatte ich keine Angst, so wie in der Nacht zuvor. Diesmal
hörte ich nichts, was darauf hingedeutet hätte, dass jemand im Zimmer war. Und
dennoch spürte ich ganz deutlich den Sog, den das Schloss nach wie vor auf mich
ausübte. Ich schlüpfte aus dem Bett, trat ans Fenster und schob die Vorhänge
beiseite. Und da sah ich es. Der Schreck fuhr mir in die Glieder, und mir wurde
heiß und kalt zugleich. Wo sich eigentlich das düstere Schloss hätte erheben
sollen, war alles hell erleuchtet: Rote Flammen loderten in den Nachthimmel.
    Schloss
Milderhurst brannte fast die ganze Nacht. Die Feuerwehr war bereits unterwegs,
als ich dort anrief, konnte aber nicht mehr viel ausrichten. Das Schloss mochte
zwar aus Stein gebaut sein, aber im Innern gab es reichlich Holz, das
Balkenwerk, die Vertäfelungen, die Türen, und dazu Millionen Blätter Papier.
Wie Percy Blythe einmal prophezeit hatte, ein Funken genügte, um das ganze
Gebäude hochgehen zu lassen wie ein Pulverfass.
    Für die
drei alten Damen sei jede Hilfe zu spät gekommen, bemerkte einer der
Feuerwehrmänner, als Mrs. Bird am nächsten Morgen das Frühstück brachte. Sie
hätten in einem Zimmer im Erdgeschoss beisammengesessen, sagte er. »Wie es
scheint, sind sie vom Feuer überrascht worden, während sie am Kamin dösten.«
    »Ist das
die Ursache gewesen?«, fragte Mrs. Bird. »Ein Funke aus dem Kamin? So war es
auch damals, als die Mutter der Zwillinge umgekommen ist.« Sie schüttelte den
Kopf angesichts der tragischen Parallele.
    »Schwer zu
sagen«, antwortete der Feuerwehrmann. »Es kann alles Mögliche gewesen sein. Ein
Funke aus dem Kamin, eine Zigarette, die auf den Boden gefallen ist, ein
Kurzschluss — die Kabel in diesen alten Häusern sind ja meistens noch älter
als ich.«
     
    Die
Polizei, oder die Feuerwehr, hatte das schwelende Gebäude weiträumig
abgesperrt, aber da mir die Gartenanlagen inzwischen ziemlich vertraut waren,
gelang es mir, mich von der Rückseite her anzupirschen. Ich musste es unbedingt
aus der Nähe sehen. Ich kannte die Schwestern Blythe erst seit Kurzem, aber
ihre Geschichten, ihre Welt, waren mir so vertraut geworden, dass aufzuwachen
und alles in Asche verwandelt zu sehen einen schrecklichen Verlust für mich
bedeutete. Es war natürlich der Verlust der Schwestern und ihres Schlosses,
aber es war auch noch etwas anderes. Es war, als hätten sie mich allein
zurückgelassen. Als wäre mir eine Tür, die sich gerade erst geöffnet hatte,
vor der Nase zugeschlagen worden, plötzlich und endgültig.
    Eine Weile
stand ich da, betrachtete die schwarze ausgebrannte Ruine und musste an meinen
ersten Besuch vor einigen Monaten denken und an meine freudige Erwartung, als
ich auf dem Weg zum Schloss am runden Badeteich vorbeigekommen war. An alles,
was ich seitdem erfahren hatte.
    Seledreorig
.. . Das Wort tauchte auf wie ein Flüstern. Trauer über das
Fehlen eines Hauses. Auf der Erde neben mir lag ein Stein aus dem
Schlossgemäuer, und sein Anblick machte mich noch wehmütiger. Es war nur noch
ein Stück Gestein. Die Schwestern Blythe existierten nicht mehr, und die fernen
Stunden schwiegen.
    »Ich kann
es nicht fassen, dass das Haus weg ist.«
    Als ich
mich umdrehte, sah ich einen dunkelhaarigen jungen Mann neben mir stehen. »Ja,
unfassbar«, sagte ich. »Hunderte von Jahren alt, und innerhalb von ein paar
Stunden zerstört.«
    »Ich habe
es heute Morgen im Radio gehört und bin gleich hergekommen, um es mit eigenen
Augen zu sehen. Ich hatte auch gehofft, Sie hier anzutreffen.«
    Wahrscheinlich
habe ich ihn ziemlich verblüfft angesehen, denn er streckte mir die Hand hin
und sagte: »Adam Gilbert.«
    Adam
Gilbert? Aber das war doch ein alter Knabe in Tweed an einem antiken
Schreibtisch. »Edie«, brachte ich mühsam hervor. »Edie Burchill.«
    »Ja, ich
weiß. Die Edie Burchill, die mir meinen Job weggeschnappt hat.«
    Es war ein
Scherz, und ich brauchte eine witzige Erwiderung. Stattdessen stammelte ich:
»Aber ... die Krankenschwester ... Ihr Bein ... ich dachte ... ?«
    »Dem Bein
geht's schon viel besser, wenn Sie das meinen«, sagte er und zeigte auf seine
Krücke. »Würden Sie mir einen Unfall beim Freeclimbing abkaufen?« Ein schiefes
Lächeln. »Nein? Also gut. Ich bin in der Bibliothek über einen Stapel Bücher
gestolpert und habe mir was am Knie gebrochen. Die Gefahren im Leben

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