Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
Vom Netzwerk:
ließ sich nichts von ihren nächtlichen Eskapaden ablesen.
Percy schien mich ein bisschen aufmerksamer zu beobachten als gewöhnlich,
während ich meinen Tee trank, aber das konnte auch mit dem zusammenhängen, was
sie mir am Tag zuvor gebeichtet hatte, ob es nun der Wahrheit entsprach oder
nicht.
    Nachdem
ich mich von Saffy und Juniper verabschiedet hatte, begleitete Percy mich zur
Haustür, und auf dem Weg dorthin unterhielten wir uns angeregt über belanglose
Dinge. Auf den Stufen vor dem Haus pflanzte sie entschlossen ihren Gehstock
auf. »In Bezug auf das, was ich Ihnen gestern erzählt habe, Miss Burchill«,
sagte sie, »möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass es sich um einen
Unfall gehandelt hat.«
    Offenbar
unterzog sie mich einer Prüfung; es war ihre Art, sich zu vergewissern, dass
ich ihr die Geschichte auch abkaufte. Herauszufinden, ob Juniper mir in der
Nacht irgendetwas erzählt hatte.
    Jetzt wäre
die Gelegenheit gewesen zu offenbaren, was ich erfahren hatte, und sie
unverblümt zu fragen, wer Thomas Cavill wirklich auf dem Gewissen hatte.
»Selbstverständlich«, antwortete ich. »Ich habe vollkommen verstanden.«
    Wozu hätte
ich es ihr sagen sollen? Um meine Neugier auf Kosten des Seelenfriedens der
Schwestern zu befriedigen? Ich brachte es nicht über mich.
    Sie war
sichtlich erleichtert. »Ich habe schrecklich gelitten. Ich wollte nicht, dass
es dazu kommt.«
    »Natürlich
nicht. Ich weiß.« Ich war gerührt von ihrem schwesterlichen Pflichtgefühl,
einer Liebe, die so stark war, dass sie sich sogar zu einem Verbrechen
bekannte, das sie nicht begangen hatte. »Sie sollten sich nicht mehr damit
herumquälen«, sagte ich so freundlich wie möglich. »Es war nicht Ihre Schuld.«
    Sie sah
mich mit einem Ausdruck an, den ich bisher noch nicht an ihr erlebt hatte und
den ich nur schwer beschreiben kann. Teils Kummer, teils Erleichterung,
vermischt mit den Anzeichen von etwas anderem. Sie war jedoch durch und durch
Percy Blythe, die sich nicht von Gefühlen beherrschen ließ. Kühl gewann sie
ihre Fassung wieder und nickte knapp. »Vergessen Sie Ihr Versprechen nicht,
Miss Burchill. Ich verlasse mich auf Sie. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die
auf den Zufall vertrauen.«
     
    Die Erde
war nass, der Himmel weiß und die Landschaft so bleich wie ein Gesicht nach
einem Wutanfall. Ich ging vorsichtig, um nicht wie Treibholz hügelabwärts
geschwemmt zu werden, und als ich das Bauernhaus erreichte, war Mrs. Bird
bereits mit den Vorbereitungen für das Mittagessen beschäftigt. Im ganzen Haus
duftete es nach Suppe, ein einfacher, aber herrlicher Genuss für jemanden, der
die Nacht in einem Spukschloss verbracht hatte.
    Mrs. Bird
war gerade dabei, die Tische im Esszimmer zu decken. Die korpulente,
freundliche Frau mit der Schürze um den Bauch wirkte so tröstlich normal, dass
ich ihr hätte um den Hals fallen können. Ich hätte es vielleicht sogar getan,
wenn ich nicht rechtzeitig bemerkt hätte, dass wir nicht allein waren.
    Es war
noch ein anderer Gast da, der aufmerksam die Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden
betrachtete.
    Eine sehr
vertraute Gestalt.
    »Mum?«
    Sie drehte
sich zu mir um und lächelte zögerlich. »Hallo, Edie.«
    »Du hier?«
    »Du hast
doch gesagt, ich soll kommen. Ich wollte dich überraschen.«
    Ich
glaube, ich war noch nie im Leben so erfreut oder erleichtert darüber, einen
anderen Menschen zu sehen. Ich umarmte sie anstatt
Mrs. Bird. »Ich bin so froh, dass du hier bist.«
    Vielleicht
war es mein Überschwang, oder vielleicht hielt ich sie auch einen Moment zu
lange, denn sie blinzelte und fragte: »Alles in Ordnung, Edie?«
    Ich ließ
mir einen Moment Zeit mit der Antwort, während sich die Geheimnisse und
bitteren Wahrheiten, die ich erfahren hatte, in meinem Kopf wie Spielkarten
mischten. Schließlich packte ich den ganzen Stapel zusammen und lächelte meine
Mutter an. »Es geht mir gut, Mum. Ich bin einfach nur ein bisschen müde.
Letzte Nacht hatten wir ein ordentliches Gewitter.«
    »Mrs. Bird
hat mir erzählt, dass du wegen des Gewitters im Schloss übernachtet hast.« Es
lag eine kleine Spur von Skepsis in ihrer Stimme. »Zum Glück bin ich nicht wie
ursprünglich geplant schon gestern Nachmittag losgefahren.«
    »Bist du
denn schon lange hier?«
    »Nein,
erst seit ungefähr zwanzig Minuten. Ich habe mir die Fotos angesehen.« Sie
zeigte auf ein Foto aus der Zeitschrift Country Life aus dem
Jahr 1910. Darauf sah
man die Bauarbeiten für den runden Badeteich.

Weitere Kostenlose Bücher