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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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anzusehen, und hielt den Blick auf
Juniper gerichtet. »Ich hatte es immer eilig. Erwachsen zu werden. Von hier
wegzukommen ...«
    Percy
spürte einen Schmerz in der Brust. Sie straffte sich, als müsste sie sich gegen
den Sog der Erinnerungen stemmen. Sie wollte nicht an das Mädchen denken, das
ihre Zwillingsschwester gewesen war, damals, bevor ihr Vater sie gebrochen
hatte, als sie noch Talent und Träume hatte und jede Möglichkeit, sie
auszuleben. Jetzt nicht daran denken! Am besten nie, wenn es sich vermeiden
ließ. Es tat zu weh.
    In ihrer
Hosentasche befanden sich die Papierschnipsel, die sie zufällig in der Küche
gefunden hatte, als sie heißes Wasser für die Wärmflasche aufgesetzt hatte. Auf
der Suche nach Streichhölzern hatte sie einen Topfdeckel angehoben, der auf
einer Bank lag, und dort waren sie gewesen, die Schnipsel von Emilys Brief.
Gott sei Dank hatte sie sie entdeckt. Dass Saffy wieder von ihrer alten
Verzweiflung heimgesucht wurde, war das Letzte, was Percy jetzt gebrauchen
konnte. Sie würde die Schnipsel mit nach unten nehmen und auf dem Weg nach
draußen verbrennen. »Ich gehe jetzt, Saff...«
    »Ich
glaube, Juniper wird uns verlassen.«
    »Was?«
    »Ich
glaube, sie will fortgehen.«
    Wie kam
ihre Zwillingsschwester dazu, so etwas zu sagen? Und warum jetzt, warum heute
Nacht? Percys Puls begann zu rasen. »Hast du sie nach ihm gefragt?«
    Saffys
Zögern reichte Percy als Antwort, um zu wissen, dass sie es getan hatte.
    »Hat sie
vor zu heiraten?«
    »Sie sagt,
sie liebt ihn«, seufzte Saffy.
    »Aber das
tut sie nicht.«
    »Sie
glaubt es aber, Perce.«
    »Du irrst
dich.« Percy reckte das Kinn vor. »Sie würde nie heiraten. Sie wird es nicht
tun. Sie weiß, was Daddy getan hat, was es bedeuten würde.«
    Saffy
lächelte traurig. »Die Liebe lässt die Menschen grausame Dinge tun.«
    Percy fiel
die Streichholzschachtel aus der Hand, und sie bückte sich, um sie aufzuheben.
Als sie sich wieder aufrichtete, bemerkte sie, dass Saffy sie mit einem
seltsamen Gesichtsausdruck beobachtete, als müsste sie eine komplizierte Idee
erklären oder ein schwieriges Rätsel lösen. »Wird er kommen, Percy?«
    Percy
zündete die Zigarette an und ging zur Treppe. »Also wirklich, Saffy«, sagte
sie. »Woher soll ich das wissen?«
     
    Die
Möglichkeit war Saffy erst nach und nach in den Sinn gekommen. Percys
schlechte Laune den ganzen Abend über war nicht angenehm, aber auch nichts
Ungewöhnliches, und so hatte sie nicht weiter darüber nachgedacht und nur
versucht, ihre Schwester zu besänftigen, damit sie das Abendessen nicht
verdarb. Aber Percy war ziemlich lange in der Küche gewesen, angeblich hatte
sie nur eine Aspirin holen wollen, war dann mit verdreckten Kleidern
zurückgekommen und hatte irgendetwas von Geräuschen vor dem Haus erzählt. Und
als Saffy sie nach der Aspirin gefragt hatte, hatte Percy sie nur verständnislos
angesehen, als könnte sie sich gar nicht mehr daran erinnern, sie überhaupt
gesucht zu haben ... Und jetzt die Entschiedenheit, mit der Percy darauf
beharrte, dass Juniper nicht heiraten würde ...
    Aber nein.
    Schluss
damit.
    Percy
konnte hart sein, ja sogar gemein, aber dazu wäre sie nicht fähig. Das konnte
Saffy nicht glauben. Ihre Zwillingsschwester liebte das Schloss über alles,
aber nicht um den Preis ihrer Menschlichkeit. Percy war mutig und anständig und
aufrichtig; sie kletterte in Bombenkrater, um Menschen das Leben zu retten.
Außerdem war es nicht Percy gewesen, die eine blutverschmierte Bluse angehabt
hatte ...
    Saffy
zitterte. Dann stand sie abrupt auf. Percy hatte recht; es hatte wenig Zweck,
Wache zu halten, solange Juniper schlief. Drei Tabletten aus den Vorräten ihres
Vaters waren nötig gewesen, um Juniper in den Schlaf zu befördern, die Ärmste,
sie würde in den nächsten Stunden bestimmt nicht aufwachen.
    Sie
einfach hier alleinzulassen, so klein und verletzlich, widersprach Saffys
Mutterinstinkt, aber wenn sie blieb, würde sie nur in Panik geraten. Schon
jetzt drohte ihre Fantasie mit ihr durchzugehen: Juniper verlor nur Zeit, wenn
sie irgendein Trauma erlitten hatte; wenn sie etwas gesehen oder getan hatte,
das sie so sehr aufgewühlt hatte; etwas, das ihr Herz schneller rasen ließ,
als ihm guttat. Dann das Blut auf ihrer Bluse und die innere Unruhe, die sie
ausgestrahlt hatte ...
    Nein.
    Schluss damit.
    Saffy
presste die Handballen an die Brust. Atmete tief durch. Sie konnte sich jetzt
keine Panikattacke leisten. Sie musste die Ruhe bewahren.

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