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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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schaute
auf seine Uhr und ärgerte sich im selben Moment. Er würde zu spät kommen. Es
ließ sich nicht ändern, der Zug war angehalten worden, dann hatte er einen
anderen Bus finden müssen, und der einzige in Richtung Osten sollte von einer
Kleinstadt in der Nähe abfahren, und so war er kilometerweit querfeldein
gelaufen, nur um festzustellen, dass der Bus einen Motorschaden hatte. Der
Ersatzbus war drei Stunden später eingetroffen, als er schon zu Fuß losgehen
und es per Anhalter versuchen wollte.
    Er trug
seine Uniform, denn in ein paar Tagen musste er zurück an die Front, und
außerdem hatte er sich inzwischen an die Uniform gewöhnt. Er hatte sich sogar
den Orden angeheftet, der ihm nach seinem Einsatz am Escaut-Kanal in Belgien
verliehen worden war. Der Orden löste gemischte Gefühle in ihm aus. Wenn er ihn
an seiner Brust spürte, musste er immer an die Kameraden denken, die bei dem
Ausbruchsversuch gefallen waren. Aber anderen schien der Orden wichtig zu
sein, seiner Mutter zum Beispiel, und es konnte ja nicht schaden, ihn zu
tragen, wenn er Junipers Familie vorgestellt wurde.
    Er wollte
einen guten Eindruck machen, wollte, dass alles glattlief. Vor allem ihr
zuliebe. Ihre Widersprüchlichkeit verwirrte ihn. Sie hatte oft von ihren
Schwestern und ihrem Zuhause gesprochen, und zwar immer liebevoll. Aus dem,
was er aus ihren Erzählungen wusste, und dem, was er mit eigenen Augen gesehen
hatte, ergab sich für ihn das Bild eines ländlichen Idylls, mehr noch, es
wirkte alles wie aus einem Märchen. Und doch hatte sie lange nicht gewollt,
dass er Milderhurst besuchte, und beinahe ängstlich reagiert, wenn er die
Möglichkeit auch nur angedeutet hatte.
    Dann, vor genau
zwei Wochen, hatte sie es sich aus heiterem Himmel anders überlegt. Während Tom
sich noch von dem Schock erholte, dass sie seinen Heiratsantrag angenommen hatte,
hatte sie verkündet, sie müssten gemeinsam ihre Schwestern besuchen und ihnen
die gute Nachricht überbringen. Natürlich hatte er ihr recht gegeben. Und jetzt
war er unterwegs zum Schloss. Es konnte nicht mehr weit sein, denn der Bus
hatte mehrfach angehalten, und er war einer der letzten Fahrgäste. Schon in
London war der Himmel verhangen gewesen, eine weiße Wolkendecke, die an den
Rändern immer düsterer wurde, je mehr sie sich Kent näherten. Aber jetzt
regnete es in Strömen, und die hin- und herhuschenden Scheibenwischer kamen
gegen die Wassermassen kaum an.
    »Sie
fahren nach Hause?«
    Tom wandte
sich der Stimme im Dunkeln zu. Eine Frau auf der anderen Seite des Gangs.
Vielleicht fünfzig Jahre alt - schwer zu sagen - mit einem freundlichen
Gesicht. So hätte seine Mutter vielleicht ausgesehen, wenn das Leben es besser
mit ihr gemeint hätte. »Ich besuche eine Freundin«, antwortete er. »Sie wohnt
in der Tenterden Road.«
    »So, so.«
Die Frau lächelte wissend. »Ihr Liebchen?«
    Er
lächelte, weil es stimmte, aber dann wurde er wieder ernst, weil es auch wieder
nicht stimmte. Er würde Juniper Blythe heiraten, aber sie war nicht sein
Liebchen. Ein »Liebchen« war das Mädchen, das ein Soldat hatte, wenn er auf
Fronturlaub war, die hübsche Kleine mit dem Schmollmund und den langen Beinen
und den leeren Versprechungen und nichtssagenden Briefen an die Front; ein
Mädchen, das gern mal einen Gin trank, sich beim Tanz vergnügte und sich
hinterher an die Wäsche gehen ließ.
    Juniper
Blythe war kein solches Mädchen. Sie würde seine Frau werden, er würde ihr
Ehemann sein, aber sosehr er sich an solche Erwartungen klammerte, wusste Tom,
dass sie nie wirklich ganz ihm gehören würde. Keats hatte Frauen wie Juniper
gekannt. Als er von seiner Belle Dame schrieb,
dem schönen leichtfüßigen Feenkind mit den langen Haaren und den wilden Augen,
muss er eine Frau wie Juniper Blythe vor Augen gehabt haben.
    Die Frau
auf der anderen Seite des Gangs wartete noch auf eine Bestätigung, und Tom
lächelte. »Meine Verlobte«, sagte er und genoss die bedeutungsschwangeren
Worte, auch wenn er sich innerlich wand, weil sie so wenig mit der Wirklichkeit
zu tun hatten.
    »Ach, wie
schön. Es tut gut, in diesen schlimmen Zeiten mal eine glückliche Geschichte zu
hören. Haben Sie sich hier in der Gegend kennengelernt?«
    »Nein ...
äh, eigentlich schon und auch wieder nicht. Richtig kennengelernt haben wir
uns in London.«
    »London.«
Sie lächelte mitfühlend. »Ich besuche ab und zu meine Freundin dort, und als
ich beim letzten Mal in Charing Cross ausgestiegen bin ...« Sie

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