Morton, Kate
So vieles war noch
ungeklärt, aber eins stand fest. Sie würde Juniper keine Hilfe sein können,
wenn sie ihre eigenen Ängste nicht in den Griff bekam.
Sie würde
nach unten gehen und an ihrem Roman schreiben, so wie Percy es ihr nahegelegt
hatte. Eine Stunde oder mehr in Adeles freundlicher Gesellschaft wäre jetzt
genau das Richtige.
Juniper
war in Sicherheit, Percy würde finden, was gefunden werden musste, und Saffy
würde nicht in Panik geraten ...
Sie durfte
es einfach nicht.
Entschlossen
zog sie die Decke gerade und strich sie über Junipers Brust glatt. Ihre kleine
Schwester rührte sich nicht. Sie schlief tief und fest wie ein Kind, das
erschöpft war nach einem Tag in der Sonne, unter klarem blauem Himmel, nach
einem Tag am Meer.
Sie war
immer so ein besonderes Kind gewesen.
Eine
Erinnerung kam Saffy, ein Bild: Juniper als kleines Mädchen, Storchenbeine und
weißblondes Haar, das in der Sonne leuchtete. Sie hockte da, die Knie voller
Wundschorf, die dreckigen Füße flach auf der versengten Sommererde, und wühlte
mit einem Stock im Dreck, auf der Suche nach dem passenden Stein, den sie über
den Bach springen lassen konnte ...
Der Regen
schlug gegen das Fenster und spülte das Mädchen, die Sonne, den Duft nach
trockener Erde fort. Nur das düstere, muffige Dachzimmer blieb zurück. Das
Zimmer, in dem Saffy und Percy ihre Kindheit verbracht hatten, zwischen dessen
Wänden sie sich von quengelnden Kleinkindern zu launischen jungen Damen
entwickelt hatten.
Aus dieser
Zeit war kaum etwas übrig geblieben, jedenfalls nicht viel Sichtbares. Das
Bett, der Tintenklecks auf dem Boden, das Bücherregal am Fenster, wo sie ...
Nein!
Schluss damit!
Saffy
ballte die Fäuste. Sie bemerkte das Fläschchen mit den Tabletten ihres Vaters. Überlegte
einen Augenblick, dann schraubte sie den Deckel ab und klopfte sich eine in die
Hand. Die Tablette würde ihr helfen, sich zu beruhigen.
Sie ließ
die Tür angelehnt und schlich vorsichtig die schmale Treppe hinunter.
Hinter ihr
im Dachzimmer seufzten die Vorhänge.
Juniper
zuckte zusammen.
Ein langes
Kleid hob sich schimmernd gegen den Schrank ab wie ein bleiches, längst
vergessenes Gespenst.
Es war
Neumond, und es goss in Strömen. Trotz des Regenmantels und der Gummistiefel
war Percy völlig durchnässt. Und als wäre das noch nicht genug, hatte auch noch
die Taschenlampe Aussetzer. Percy suchte festen Halt auf der schlammigen
Auffahrt und schlug die Taschenlampe gegen ihre Handfläche, sodass die Batterie
klapperte. Das Licht flackerte kurz auf, und Percy schöpfte Hoffnung. Aber dann
gab die Lampe den Geist auf.
Fluchend
schob Percy sich die nassen Haare aus der Stirn. Sie hatte keine Ahnung, was
sie eigentlich zu finden erwartete. Je länger es dauerte, je weiter sie sich
vom Schloss entfernte, umso weniger wahrscheinlich wurde es, dass sich die
Sache geheim halten ließ. Und sie musste unbedingt geheim gehalten werden.
Sie kniff
die Augen zusammen, um im Regen irgendetwas ausmachen zu können.
Der Bach
führte Hochwasser; sie hörte ihn gurgeln und tosen auf seinem Weg zum Wald.
Wenn das so weiterging, würde die Brücke am Morgen unpassierbar sein.
Sie wandte
den Kopf weiter nach links, wo sie das düstere Bataillon des Cardarker-Walds
erahnen konnte. Der Wind fuhr durch die Baumwipfel.
Percy
versuchte es noch einmal mit der Taschenlampe. Das verdammte Ding wollte einfach
nicht mehr. Langsam und vorsichtig ging sie weiter in Richtung Straße und
suchte, so gut es im Dunkeln ging, den Weg vor sich mit den Augen ab.
Ein Blitz
tauchte die Szenerie in weißes Licht; die durchweichten Felder wichen von ihr
fort, der Wald zog sich zurück, das Schloss stand da, wie mit trotzig
verschränkten Armen. Die Welt schien stillzustehen, und Percy fühlte sich
vollkommen allein, empfand innerlich wie äußerlich nichts als kalte, nasse
Leere.
Sie sah
es, als der Blitz erlosch. Etwas unten in der Zufahrt. Etwas, das dort reglos
dalag.
Großer
Gott, es waren die Umrisse einer Gestalt, eines Mannes.
2
Tom hatte
Blumen aus London mitgebracht, einen kleinen Strauß Orchideen. Sie waren schwer
zu finden und höllisch teuer gewesen, und als es Abend wurde, bedauerte er
seine Entscheidung bereits. Sie sahen inzwischen ziemlich mitgenommen aus, und
er fragte sich, ob er Junipers Schwestern mit gekauften Blumen überhaupt eine
Freude machen würde. Aber außer den Blumen hatte er noch die Geburtstagsmarmelade
mitgebracht. Gott, war er nervös.
Er
Weitere Kostenlose Bücher